Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle überzeugt mit ungewöhnlicher Programmierung
Das gab es in der über 170 Jahre langen Tradition der Kammerkonzerte der Sächsischen Staatskapelle vielleicht noch nicht, zumindest nicht in den letzten Jahr(zehnt)en: Normalerweise kommen die Musiker in verschiedenen, nicht permanenten Formationen zusammen, spielen an einem Abend Trios, Quartette oder Quintette. Doch am Mittwoch gestaltete das Ensemble Bento (Sabine Kittel / Flöte, Anke Heyn / Violoncello und Paul Rivinius / Klavier) einen ganzen Abend in der Semperoper allein mit Flötentrios – ungewöhnlich! Ob es daran lag, daß viele Orchestermitglieder wegen der Gastspielreise des Orchesters nach Spanien nicht verfügbar waren, fiel dabei gar nicht mehr ins Gewicht, denn es wurde ein außergewöhnlicher Abend und kein Konzert der Art »Notlösung mit Daheimgebliebenen«.

Es bot auf der einen Seite eine gediegene Musik des Salons, darin und darum herum aber auch einige Überraschungen und weitere Novitäten. Das letztere traut man Johann Nepomuk Hummel im allgemeinen nicht zu. Zu sehr haftet dem Schüler von Haydn, Mozart und Beethoven das Verdikt des Epigonen an, der zwar auf der Höhe Mozarts war, aber nicht weiterzugehen vermochte. Dabei erweisen sich seine Werke trotzdem immer wieder als so reizvoll wie vielfältig – vom Klavierkonzert über Kammer- bis zur Ballettmusik hat sich Hummel in vielen Genres erprobt. Sein Trio A-Dur für Flöte, Violoncello und Klavier Opus 78 bot denn weit mehr als nur einen angenehmen Ton oder hochwertige Unterhaltung. Hummels Eleganz wurde vor allem vom pieksauberen Legato der Flöte und dem kantablen Violoncello getragen. Dem Klavier – Hummel war ein meisterlicher Pianist – hat der Komponist erstaunlicherweise eine eher zurückgenommene Rolle zugeschrieben, während Flöte und Cello einander abwechselnd den Vortritt lassen. Schon hier war nicht das hervorgehobene Solo oder Duett entscheidend, sondern die Verwobenheit des Miteinanders. Und die förderte manche Überraschung zutage, denn dem Adagio folgen Variationen, welchen eine Munterkeit wie von Schuberts Forellenquintett innewohnte, im Rondeau steigerte Hummel dies um Grade der Freiheit, die noch einmal an Schubert denken ließen, an dessen Phantasie C-Dur (die jedoch erst knapp zehn Jahre später entstand) – nichts epigonenhaftes also!

Mélanie Bonis hat zahlreiche Werke geschrieben, die zu ihren Lebzeiten bereits in Salons geschätzt und gespielt sowie auch verlegt worden sind. Mittlerweile erfährt die Komponistin im Konzertleben eine Renaissance und war im Kammerabend gleich zweimal vertreten: auf die Sonate für Flöte und Klavier Opus 64 folgte nach der Pause »Soir – Matin« für Flöte, Violoncello und Klavier. Schien die Sonate zunächst dialogischer als der zuvor gehörte Hummel, aber in der Form enger, nahm das Werk nach einem liedhaften Adagio eine erstaunliche Wendung, wurde komplexer und freier. Die Beschreibung des Abends und des Morgens (in dieser ungewöhnlichen Reihenfolge) ließ die drei Stimmen einander lebhaft umspinnen, mit Vorzügen für die Flöte. Offenbar war der »Abend« gut verlaufen, denn der nachfolgende »Morgen« offenbarte keine Katerstimmung.

Das dürfte sich auf den ganzen Kammerabend bezogen ähnlich darstellen. Im Gegenteil hatte ein Novum vor der Pause für angeregte Gespräche und nachhaltige Eindrücke gesorgt, als sogar der sonst (fast) immerwährende Schmuckvorhang gehoben wurde, um den Blick auf ein Bild freizugeben. Rauchschwaden in der Luft oder vielmehr Wasserströme im Meer waren es, die den Hintergrund zu George Crumbs »Vox balaenae« (Die Stimme des Walfisches) darstellten. Crumb, Komponist, Klangsucher und Experimentator, stellte mit präpariertem Klavier, menschlicher Stimme, Glöckchen sowie Flöte und Violoncello in »verfremdenden« Spieltechniken einen Eindruck nach, den der Gesang eines Buckelwals bei ihm hinterlassen hatte. Wohlgemerkt keine naturalistische Szene oder exakte Kopie, sondern eine atmosphärische Wiedergabe voller verblüffender Effekte. Bald schon war der Eindruck oder Gedanke eines Experiments verflogen, so intensiv nahmen die Klangfäden, -schwaden und Partikel, Blitzen und Blasen ein, einer großen wogenden Masse gleich, die durch den Saal der Semperoper zog. Zwischen Vokalise (»… zu Beginn der Zeit«) und Meeres-Nocturno (»… am Ende der Zeit«) bereicherten phantastische Variationen den gewohnten Kammerabend um eine berauschende Ungewöhnlichkeit. Da war der Moment der Pause wohlgesetzt, um aus diesem Meer wieder »aufzutauchen«. Nach Mel Bonis Betrachtung der Tageszeiten sorgte Fanny Hensels Klaviertrio d-Moll (hier mit Flöte statt Violine) für einen Abschluß, bei welchem dem Pianisten jene virtuose Beteiligung zugebilligt war, die Hummel vermieden hatte. Bald nahm die Lebhaftigkeit, flott und strömend, schumanneske Züge an, gaukelten die Stimmen raffiniert mit einzeln gezupften Betonungen und erregten Tremoli. Im Finale durfte sich das Klavier des ebenso souverän begleitenden wie führenden Paul Rivinius capricehaft entfalten – Klangkultur war dem Pianisten auch hier wichtiger als vordergründige Aufmerksamkeit.
1. Mai 2025, Wolfram Quellmalz