Konzert des Dresdner Motettenchores in Leubnitz
Am Sonntagnachmittag lud der Dresdner Motettenchor bei geradezu baltischem Wetter – licht, aber kühl – in eine der schönsten und ältesten Kirchen der Umgebung nach Leubnitz-Neuostra. Die Einladung ausgesprochen bzw. geholfen, das Konzert zu realisieren hatte Prof. Ziegenhorn, der damit an seine auf dem Friedhof nebenan beigesetzten Eltern erinnern wollte und die Kosten übernommen hatte. Das Konzert, so Kantorin Elisabeth Hoyer in ihrer Begrüßung, solle einmal besonders all jenen gewidmet sein und an die erinnern, die Eltern sind oder waren.
Denkt man an »Baltische Stimmen«, fallen einem sofort die Namen Arvo Pärt und Pēteris Vasks ein (in dieser Reihenfolge). Doch das Baltikum bietet nicht nur weit mehr, es hat eine ganz eigene, dynamische Chor- und Musiklandschaft. Darin bzw. speziell in Estland ist der Name des Komponisten Veljo Tormis noch viel berühmter und tiefer verankert als der des im Westen beliebten Arvo Pärt. In seinem Konzert präsentierte der Motettenchor Musik beider Komponisten. Zudem moderierte Leiter Matthias Jung die in kleinen Blöcken zusammengefaßten Titel, erläuterte Hintergrund oder Inhalt der Lieder sowie biographisches zu den Autoren.

Estnische Lieder überwogen innerhalb der baltischen Stimmen ein wenig, die mit einem Dona nobis pacem von Urmas Sisask begannen. Auffällig war, daß viele der Werke ein Stück Dunkelheit einschlossen, offenbar der geographischen Erfahrung entsprechend. Der Weg ins Helle markierte ihren Inhalt ebenso wie jener einer Vereinigung. Immer wieder begannen die Stimmen der Sängerinnen und Sänger versetz, fugiert, einzeln, folgten unterschiedlichen Pfaden, teils war der eigentliche Liedtext nur in einer Stimme (meist Sopran) hervorgehoben. Dennoch fanden die Komponisten immer einen Weg, die Stimmen nicht nur zu vereinigen, sondern kraftvoll zu betonen. Chorsingen, hatte Matthias Jung erklärt, sei im Baltikum ein Stück Identität und habe dazu beigetragen, die Länder in die Unabhängigkeit zu führen.
Cyrillus Kreek gehört zu den Klassikern aus dem Baltikum. Der Este hat nicht nur selbst Werke komponiert, sondern über 1300 Volkslieder gesammelt und herausgegeben. In seinen Psalmvertonungen »Kiida, mu hing, Issandat!« (Psalm 04, »Lobe den Herrn, meine Seele«) und »Issand, ma hüüan Su poole« (Psalm 104 »Herr, ich rufe zu dir«) waren Beispiele für sein eigenes Schaffen und vereinigten die Dunkelheit bzw. Tiefe mit himmlischen Höhen.
Die Cantate Domino des zeitgenössischen litauischen Komponisten Vytautas Miškinis zeigte einen eindeutig frohen Charakter, der vertraute Klänge enthielt. Natürlich war Arvo Pärt mehrfach, mit drei im Programm verteilten Liedern vertreten. »Drei Hirtenkinder aus Fátima« und »Christ is the morning star« zeugten von der hohen Zugänglichkeit, die Pärts Musik auf Seiten der Sänger wie der Hörer bietet. Beim später angefügten Da pacem domine waren freilich die Grenzen dessen, was ein Laienchor leisten kann, spürbar. Wenn der Komponist den Klang aufteilt und die Silben vereinzelt, fordert das eine enorme Homogenität.
Der 2022 verstorbene Urmas Sisask war nicht nur Komponist, sondern auch Hobbyastronom und hatte eine »kosmische Harmonie« für seine Musik entwickelt (ähnliche Wege haben im 18. und 19. Jahrhundert Caroline und Wilhelm Herschel gesucht). Sisasks Benedictus gehörte zu jenen Werken, die mit einer festen, beständigen Dunkelheit beeindruckten. Nicht dem Charakter nach, sondern als gäben sie dem Text einen sicheren Untergrund. Das sehr getragene Pater noster von Pēteris Vasks war programmatisch sinnvoll angeschlossen.
Ganz im Baltikum blieb der Motettenchor nicht, sondern kam mit Heinrich Schütz zu eigenen Wurzeln zurück (der Dresdner Motettenchor ist am Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden verankert). Immerhin kam Heinrich Schütz auch weit in den Norden, bis nach Kopenhagen, und ist für die Chormusik wesentlich. »Ich bin ein rechter Weinstock« (SWV 389) war ein Beispiel für die wogende Kraft, die Schütz seiner Musik oft mitgab. Mit »Ich bin die Auferstehung« (SWV 464) und Johann Sebastian Bachs »Der Geist hilft unser Schwachheit auf« (BWV226) wechselte die Aufstellung zur Mehrchörigkeit.
Veljo Tormis durfte mit drei Wiegenliedern das Programm beenden. Vor allem »Laulan lapsele« entsprach mit seinem warmen Charakter sicher den Erwartungen. Dagegen überraschte in den anderen, vor allem »Marja aega magada« die expressive Gestaltung – andere Länder, andere Wiegenlieder!
Der Dresdner Motettenchor ist am 17. Mai, 17:00 Uhr mit der Uraufführung »Here we are!« von Cathy Milliken im Freiberger Dom zu erleben.