Domorganist Sebastian Freitag in der Hofkirche
In seinem Konzert am Mittwoch in der Hofkirche (Kathedrale) im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ holte Domorganist Sebastian Freitag sein Publikum quasi mit Dieterich Buxtehude in der Zeit Gottfried Silbermanns ab, um danach mit der Silbermann-Orgel ins 19. Jahrhundert aufzubrechen, das zwanzigste zu streifen. Dabei zeigte sich: forscht man einen alten Raum sorgsam aus, kann er auch moderner klingen.
Ohnehin stand variable Vielfalt im Programm von Sebastian Freitag festgeschrieben. Weniger wegen einer Vielzahl und Unterschiedlichkeit der Stücke als in deren Anlage mit Verzweigungen, Variationen und anderen Formenspielen. Dieterich Buxtehude war dafür gleich das erste Beispiel, denn seine Toccata F-Dur (BuxWV 156) ist keineswegs ein durchgängiges Stück, das die Tastatur »traktiert«, sondern genießt die Freizügigkeit des Stylus phantasticus in einem mehrteiligen Aufbau, der mit einem Quasi-Präludium beginnt, in dem sich Manual und Pedal teilweise noch abwechselnd gegenüberstehen. Nach diesen luftigen Figuren ließ Sebastian Freitag die Manualstimmen einander umschlingen und schließlich mit dem Baß des Pedals vereinigen. Trug der Beginn mit seinem aufsteigenden Motiv einen »Tür-auf«-Gestus in sich, präsentierte der zweite Teil Buxtehude als einen Meister der Fuge.
Daß man kleinteilige Ornamentik auch zu pittoresken Empfindungen formen kann, zeigte die »Ländliche Szene« Opus 132 / 3 von Marco Enrico Bossi. Die nun umgekehrte, nach unten gerichtete Tonfolge stand hier für das, was von oben auf uns zukommt, wie das Licht. Bald formte Sebastian Freitag daraus einen flächigen Klang, die das ländlich-idyllische Bild zeichnete und eine moderne Interpretation Beethovens »Szene auf dem Lande« gegenüberstellte. In Bossis Komposition, 1910 entstanden, aber noch romantisch, führte Sebastian Freitag feine Details aus, einem Windspiel gleich. Angemessene Tempi zeigten die Beweglichkeit der Variationen der Szenerie, dabei blieben Tremoli bis zu einzeln schwingenden Tönen klar und deutlich erkennbar.

Den größten Anteil am Abend hatte Josef Gabriel Rheinberger, der mit seiner zehnten Sonate h-Moll den weitesten Bogen schlug. Es blieb also, zeitlich etwas früher gelegen (Ende 19. Jahrhundert), romantisch. Die Sonate enthält – als wollte der Komponist die Formen übersteigern, drei Sätze, die Präludium, Fuge, Variationen, Phantasie und mehr enthalten. Wellenförmig breitete sich das Präludium aus – ein erneut flächiger Klang blieb nach Bossi zunächst erhalten. Die Fuge verzweigte sich erst aufsteigend in kleinteiligen Motiven mit Verzierungen, die alle durchhörbar blieben, bevor die Fuge einen prächtigen Aufstieg erklomm. Im zweiten Satz (Thema mit Veränderungen) wahrte Sebastian Freitag Abstand zur Sinfonik, stellte dafür die romantische Form von Variationen verschiedener Charaktere dar. Das Ende durfte bereits ein wenig schimmern – es kündigte die Phantasie an, die einem zweiten kleinen Präludium glich und das Finale vorbereitete. Darin fanden sich Liedmotive eines Chorals ebenso wie eine nun doch größere sinfonische Klangfülle. Gerade die Wohldosiertheit der übrigen Sonatensätze ließ dieses Finale in seiner Mächtigkeit wirken.
Insofern blieb auch das Finale der Deuxième Suite Opus 27 von Leon Boëllmann differenziert in seiner Wirkung. Zwar folgte es ebenso einem Anstieg, aber in einer viel strömenderen, nicht mächtigen Art. Schon die Farben des ersten Satzes (Prélude pastoral) hatten dies mit einer zarteren Grundierung angedeutet. Über diesen Ton hinaus lebte das Prélude aber nicht von der Farbe allein, sondern ebenso vom heiter-verspielten Charakter. Im Allegretto con moto kehrte die Belebung durch ein Wellenspiel wieder, hier aber ganz anders, denn es trieb die Melodie fließend voran, die von einem zweiten Motiv umspielt wird. Das Wellenspiel war diesmal nur Grundlage, Spannung wuchs aus dem Kontrast des Gegensatzes (oder Miteinanders der Stimmen).
Das folgende Andantino überraschte mit seinem dunklen Grundton und seiner innigen Ruhe, entsprach aber eher einem überleitenden Intermezzo zum Final-Marche, der sich deutlich lauter abhob. Trotzdem blieb der Charakter farbigen Strömens bestimmend.
Am kommenden Mittwoch spielt Stefan Madrzak (Soest) im Rahmen des Dresdner Orgel-Zyklus in der Kreuzkirche. Domorganist Sebastian Freitag setzt am 23. Mai seinen Bach-Zyklus (BWV 525, 593, Schübler Choräle) in der Hofkirche fort.
8. Mai 2025, Wolfram Quellmalz
Kreuzkirche Dresden