Annäherung an Heinrich Heine

Musikalisch-literarischer Abend bei den Dresdner Musikfestspielen

Der Liederabend »Heinrich Heine. Paris. Musik« im Palais im Großen Garten hatte gleich mehrfach eine Vorprägung, ergo Erwartungshaltungen evoziert: einerseits stand die Kooperation mit der Reihe »Lied in Dresden« für eines der klassischsten Formate überhaupt, die Sujets Heine und Paris gaben natürlich ihrerseits einen Hintergrund, wenn nicht mehr (Imaginationsraum, Traumort, Idol, Projektion). Nicht zuletzt ging dem Bariton Benjamin Appl als dem letzten Schüler Dietrich Fischer-Dieskaus ein Ruf als ausgewiesenem Liedinterpreten voraus.

Benjamin Appl war auch der erste, der sein Versprechen einlöste, und das auf faszinierende Weise: Ist so ein »Abdruck«, ein Schüler, der letzte gar, zu sein, doch immerhin eine Bürde. Doch Benjamin Appl scheint das kein bißchen zu drücken. Im Gegenteil gelingt es ihm, ein Erbe weiterzutragen und in unsere jetzige Zeit zu überführen. Der Bariton hat klassische Attribute des Liedgesangs gewahrt, verharrt aber nicht im gestrigen, sondern bringt gestalterisch seine Attitude ein, leuchtet sorgsam aus, spendet Herzblut, womit er das Resultat über formal geschmackvolles hebt. Und dann gab es mittendrin kleine, kleinste Momente, wenn Appl bei »Lebe wohl! du heilge Stelle« kurz verweilte (Gedicht »Schöne Wiege meiner Leiden«) oder »Die ganze Welt der Schmerzen« (»Der Atlas«) hinausrief, da meint man, den Lehrer Fischer-Dieskau zu hören.

Dramatischer Augenblick: James Baillieu (links am Klavier), Benjamin Appl, Jens Harzer und Barbara Auer machten die abwesende Pauline Viardot-García gegenwärtig, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Dabei hatte es der Bariton gar nicht so einfach, denn anders als beim normalen Liederabend mit geschlossenen Zyklen oder Blöcken war das Konzept (Helmut Butzmann) hier ein offenes, das nach jedem Lied Erzähl- und Rezitationsteile einordnete. Vor allem Jens Harzer konnte mit seinen Rezitationen begeistern, denn er verlas nicht nur Gedichte, sondern überwiegend Briefe und Aufzeichnungen. Und darin konnte Heine nicht nur ironisch oder satirisch, sondern ein regelrechtes Lästermaul sein, das kein Fettnäpfchen ausließ. Für uns als nicht betroffene, die sein Urteil durch die Historie bestätigt sehen, ist das amüsant – Goethe soll weniger amüsiert gewesen sein, als Heine ihm bei einem Besuch »erzählte« er arbeite gerade an einem Faust-Stoff …

Intim und leidenschaftlich, außerdem ein ausgezeichnetes Gestalterduo: James Baillieu und Benjamin Appl, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Die Lieder wuchsen zu gestalterischen Kleinoden – wer hätte auch anderes erwartet? Schließlich waren sie sorgsam verlesen und hielten manche Überraschung bereit, wie Richard Wagners französische Fassung von »Die beiden Grenadiere« (Schumanns bekanntes Lied war zuvor erklungen). Fanny Hensel (»Warum sind denn die Rosen so blaß« und »Schwanenlied«) und Clara Schumann (»Sie liebten sich beide«) gehören heute zu den bekanntesten Liedkomponisten, während Pauline Viardot-García noch (vielleicht eine Aufgabe für die Reihe »Lied in Dresden«?) entdeckt werden möchte. Oder unbedingt entdeckt werden muß – »Das ist ein schlechtes Wetter« (VWV 1054) erwies sich als Werk mit Schubert’scher Dramatik!

Diktion war gleich dreifach gefragt an diesem Abend – neben Appls bestechend verständlichem Vortrag (die Liedtexte wurden teilweise eingeblendet, da es als Programm nur ein Faltblatt ohne Gedichttexte gab) konnte Jens Harzer damit prunken. Vielleicht sogar noch mehr, freier und pointierter, und ob er nach all den Frechheiten Heines beim Gedichtschluß »Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, und lächelt fort die deutschen Sorgen« ob seiner Harmlosigkeit lachen mußte oder dies als Heine spielte, sei dahingestellt.

Jens Harzer als Heinrich Heine, Barbara Auer als Chronistin, Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

James Baillieu war nicht nur in den Liedern Kooperationspartner mit Diktion, er durfte mit Chopin und Liszt Komponisten interpretieren, denen Heine begegnet war. Am großartigsten vielleicht in Chopins Fassung von »Casta diva« (aus Bellinis »Norma«) – auch den Sizilianer hatte Heine kennengelernt und dessen frühen Tod beklagt. Einem Bruchstück aus Liszts h-Moll-Sonate dagegen fehlte das Fundament der ausgelassenen Teile.

Fast etwas undankbar blieb die Rolle von Barbara Auer, die – mit Ausnahme eines kurzen Gedichtes am Schluß – nicht rezitierte, sondern Heines Leben in Paris zusammenfaßte. Das bot weit weniger Gestaltungsraum, sieht man vom angenehmen Vortrag und einer guten Erzählerstimme ab. Manchmal schien das Konzept dabei zu starr (im regelmäßigen Wechsel) oder der Text kam »vom Wege« ab. Der Nebensatz, Hitler habe später Wagners Ideen umgesetzt, mag als Ausgangspunkt für einen eigenen Abend geeignet sein, zumindest Diskussionsstoff geben, hier hatte er allerdings nichts verloren, da er im Gewicht mehr als ein Nebensatz wog. Und was hatte das mit Heine zu tun?

Nicht minder abwesend: auch Clara Schumann hatte ihren Auftritt (und eine ambivalente Ablehnung für Franz Liszt), Photo: Dresdner Musikfestspiele, © Oliver Killig

Und um den ging es letztlich glücklicher- und auf bereichernde Weise. Schumann, schien es, war der beste Heine-Versteher, auch wenn gilt (wie wohl immer), daß sich Dichter nicht zu den Vertonungen ihrer Werke äußern (können).

13. Juni 2025, Wolfram Quellmalz

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