Haben und Sein oder Sein und Zeit

Podium junger Komponisten an der Musikhochschule

Wenn man fragt, was das Wesen des Menschen ausmacht, so kommt man unweigerlich auf seine schöpferische Ausdruckskraft. Diese will ersucht, ertastet, erforscht werden. In einem Podium »Sein und Zeit« mit Kompositionen von Studenten der Musikhochschule (HfM) wurden am Mittwoch auf der Probebühne einerseits solche existentielle Zusammenhänge sichtbar, andererseits zeigte sich, daß das Schöpfertum nicht erst im Resultat eines vorzeigbaren oder vorführbaren Werkes liegt, sondern schon mit dem Aufbruch und der Suche beginnt.

Julia Waldeck ist in Dresden bereits ganz unterschiedlich mit ihren Werken in Erscheinung getreten. So waren ihre Kompositionen an der HfM oder im Rahmen des KlangNetzes wie in der Jahresreihe re:actions im Hygienemuseum zu erleben [NMB berichteten]. Sie leitet aber auch die Musicalgruppe der Musikschule Bayer und hat für Aufführungen dort ein Kindermusical (»Aus vergessenen Träumen«) geschrieben. Mit dem Stück »Im Abwesen« für Ensemble reflektiert sie darüber, daß uns vieles erst bewußt wird, wenn es abwesend ist und daß wir das gegenwärtige im Grunde gerade in dem Augenblick erfassen, in dem es bereits vergangen ist.

Mit Baßklarinette und dem Violoncello in tiefsten Lagen spannt Julia Waldeck einen Raum auf, dessen weite, durchlässige Konturen sie mit Streichern oder Schlagwerk immer wieder verändert und flexibel am Leben erhält. Ein Keyboard wird einmal als e-Piano eingesetzt, dann als Synthesizer für Hall und elektronische Klänge, die jedoch nicht dominierend werden. Über dieser Raumebene erklingen Einzeltöne bzw. Ereignisse, die sich im Klangraum verteilen, Initiationspunkte werden. Hall, Reibung oder ein aufstrebendes Tutti-Glissando markieren sowohl den Raum als auch die darin enthaltenen Ereignisse. »Im Abwesen« ist für das Tacet(i)-Ensemble entstanden und erzielte beim International Composition Institute of Thailand im vergangenen Herbst den 3. Platz. Dirigentin Thea Hermann, die Julia Waldeck am Mittwoch vertrat, wiederholte das Stück nach der ersten Aufführung noch einmal – eine Praxis, die früher durchaus üblich war und lohnt, das Verständnis gerade für neue Werke zu erhöhen.

Samir TimajChi steht spätestens seit dem Beginn seines DAAD-Stipendiums an der HfM für eine experimentelle Form des Komponierens und Aufführens. Für »ePossession« für Stimme (Uraufführung) hatte er mit Baß Cornelius Uhle einen Mitstreiter gewonnen, der solche Formate mit AuditivVokal ganz explizit pflegt. In »ePossession« verschmelzen Aufführung und Stück miteinander in einem abgedunkelten Raum, der außer ein paar kleinen Lichtspots und einem großen Spiegel vor allem auf die Stimmen fokussiert. Der Komponist, der elektronische Klangverzerrungen oder Echoeffekte via Smartphone einspielt, und Cornelius Uhle als ausführende Stimme führen – scheinbar vor dem eigentlichen Stück – einen Dialog, in dem es bereits um die Entstehung und das Werk geht, um naheliegende Begriffe wie »e-Learning« oder »Repossession«, generell aber darum, Worte, Sprache zu verstehen bzw. mißzuverstehen. Zum Beispiel, wenn man in einer Kneipe Wortfetzen hört, die Zusammenhänge dabei aber verlorengehen oder mißverständlich werden. Solche Versatzstücke in emotionalen Sprachmodulationen machten, im Wechsel mit dem weitergeführten Dialog, die Kernsequenzen von »ePossession« aus – (Miß)deutung zulässig.

William Turner »Shade and darkness – the evening of the deluge« (»Schatten und Dunkelheit – der Abend der Sintflut«, Ölfarbe auf Leinwand, 79 × 79 cm, 1843), Tate Gallery, City of Westminster / National Gallery, London, Bildquelle: Wikimedia commons

Auch das dritte Stück war noch eine Uraufführung. Und auch »Plus de sens« von Youshin Him wurde zum Abschluß wiederholt. Den französischen Titel hat der Komponist wegen der sprachlichen Nuance der Gefühle gewählt, er will damit auf das Mehr des Sinns bzw. dessen Verlust hinweisen. »Plus de sens« für Kontrabaß solo (Franz Hübner) beginnt mit Einzeltönen und -klängen, welche das Stück zunächst andeuten, entstehen lassen. Auf den Saiten, unter dem Steg, gestrichen, gewischt oder geschlagen klingen sie zunächst sehr unterschiedlich, verdichten sich aber bald in Akkorden, sogar periodischen Abschnitten. Die Tonfolgen scheinen manchmal als Kette aufeinander bezogen, dann wieder gewinnen Akkorde einen Schwerpunkt und eine sinnliche Kraft. Doch der eben so kraftvoll scheinende Ton ist unmittelbar darauf bereits verklungen – also verloren?

10. Juli 2025, Wolfram Quellmalz

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