Alte Musik, alte Schlager?

Ensemble Sete Lágrimas beim Sommerfest der Alten Musik in Prag

Zum 26. Mal heißt es bereits Letní slavnosti staré hudby in Prag. Nach dem Auftakt des Musikfestes vergangene Woche mit dem Ensemble Polyharmonique war »Música da vida« (Musik des Lebens) gestern auf Schloß Troja unser erster Besuch in diesem Jahr. Das portugiesische Ensemble Sete Lágrimas (sieben Tränen) hatte Musik von der iberischen Halbinsel und von deren Reisezielen zu einem Lebenszyklus zusammengestellt, der von der Geburt über zwei (!) Lieben und die Arbeit bis zum Tod reichte. Wer allerdings dachte, es gäbe die Alte Musik aus einer besonderen Blickrichtung präsentiert wie fast auf den Tag genau vor einem Jahr an gleicher Stelle mit den Talenti Vulcanici, der erlebte eine Überraschung. Denn die Alte Musik kam zwar vor, jedoch war sie nicht von der höfischen, sondern eher der geselligen Sorte:unterhaltsame Lieder, alte Weisen – mit anderen Worten: im Grunde alte Schlager.

Sete Lágrimas im Festsaal von Schloß Troja, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Allerdings nicht nur. Obwohl manche Stücke süß und weich gesungen waren wie richtige »Schnulzen« (auch Hermann Prey, dessen Todestages wir heute gedenken, hatte manche Ausflüge als Crooner unternommen), stand vor allem folkloristische Musik im Vordergrund. Fandango und Fado kreuzten sich mit Jazz und Modinhas – hier und da wäre eine genauere Zuordnung allerdings wünschenswert gewesen, denn manchmal stehen sich die Herkunft aus Tradition, ihre Befruchtung, und die political correctness verständnislos gegenüber – sollte da nicht gerade eine Disziplin wie die Musik vermitteln? Insofern kann man eine anonym überlieferte Bastiana kaum als »chinesisch« (Programmheft) abtun, wenn sie von Macao stammt. (Die portugiesischen Einflüsse des zunächst gepachteten, späteren Koloniegebietes sind unverkennbar, die Geschichte der Region komplex. Die heute gültige Zuordnung auf die Historie zu beziehen ist weder korrekt noch gibt sie Einflüsse und damit die Entstehung des Werkes wieder.) Dabei waren gerade die Verknüpfungen in andere Kontinente und Regionen interessant – schließlich war Portugal einst eine große Seefahrernation, was nicht zuletzt den Austausch der Kulturen förderte!

Bei Sete Lágrimas schienen Bühnendarsteller und die gemalten Figuren des Festsaales auf Schloß Troja eins zu werden, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Allerdings muß man zugestehen, daß das Programm ja nicht politisch-territoriale Zusammenhänge darstellen, sondern das Leben illustrieren wollte. Und das gelang den fünf Musikern, die oft Mehrfachakteure waren: Filipe Faria ist als Künstlerischer Leiter nicht nur für die Programmzusammenstellung verantwortlich und richtete mehrere Stücke ein, er war mit Gesang und Schlagwerk ebenso beteiligt wie Sängerkollege Sérgio Peixoto (ebenfalls Künstlerischer Leiter, Arrangeur und Stimme). Tiago Matias spielte mit Vihuela und Barockgitarre die Zupfinstrumente, Juan de la Fuente mannigfaltige Schlagwerke. Nur Mário Franco blieb einzig dem Kontrabaß treu. Mehr als nur etwas irritierend war allerdings die Melodica, die zum Einsatz kam – ein Kinderinstrument in der Alten Musik? Zu viel Spaß wirkt schnell albern …

Stationen eines dramatischen Lebens(ver)laufes: Sete Lágrimas, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Doch Sete Lágrimas schienen ihr Publikum zu erreichen, das begeistert applaudierte. Vermutlich deshalb, weil die Musik oft mitreißend präsentiert wurde. Kurze Melodiebögen, vor allem stand die rhythmische Ausprägung im Vordergrund, vor allem, wenn alle fünf Akteure klatschten und stampften. Zudem wußten Filipe Faria und Sérgio Peixoto mit theatralischen Gesten einzunehmen, daß jeder Gondoliere neidisch geworden wäre.

Auch instrumental temperamentvoll: Sete Lágrimas, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Aber immer nur Theater macht eben doch noch kein Konzert – kein Zweifel: das anonym überlieferte »San Giuseppe e la Madonna« zündete zu Beginn ordentlich. Zudem zeigte die Geschichte »Vom Heiligen Josef und der Madonna«, daß es hier um eine (alte) Tradition des Erzählens ging. Mit der Folia Gaspar Sanz gab es vielleicht den größten Moment einer Annäherung, denn der berühmte Tanzsatz, seit Ende des 16. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen, variiert, improvisiert, moduliert und interpretiert, stammt ursprünglich (vermutlich) aus Portugal. Trotzdem war in den langsamen, süß schmelzenden Stücken danach bald ein wenig die Luft »draußen«.

Abendstimmung um Schloß Troja, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Letztlich wiegt die Geschmacksfrage aber nicht wenig. Mit vergleichbaren hiesigen Ensembles, Christina Pluhars »L’Arpeggiata« und Sängern wie Marco Beasley und Vincenzo Capezzuto, deren Technik eine klassische Zuordnung, etwa »Tenor«, ebenso ausschließen wie bei Filipe Faria und Sérgio Peixoto, waren solche Modeerscheinungen und Geschmacksrichtungen bereits zu beobachten. Insofern sei die folkloristische Öffnung der Alte-Musik-Reihe also gewürdigt.

22. Juli 2025, Wolfram Quellmalz

Morgen steht etwas vermutlich ganz anderes auf unserem Programm beim Letní slavnosti staré hudby: »La flor en Paradis«, sakrale Werke aus den Codex Las Huelgas, Codex Montpellier und Le Manuscrit du Roy [Bericht folgt].

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