Siegfried und Isolde

Bayreuths »Tristan« bleibt zurück

Mit den Erwartungen ist das so eine Sache – sie können belastend und einschränkend die offene Sicht verstellen, sind andererseits aber doch berechtigt und geben uns oft eine Orientierung. Wer zum Beispiel zu den Bayreuther Festspielen fährt, erwartet eine Opernaufführung erster Qualität. Manches läßt sich vorab erahnen, weil es Rezensionen und Premierenübertragungen gibt. In den vergangenen Jahren haben wir gern die Kinoüberragungen am Eröffnungstag der Bayreuther Festspiele besucht und von dort berichtet, indes hat die Cineplex-Gruppe das Angebot trotz starker Nachfrage ausgedünnt – in unserer Nähe überträgt kein Kino mehr die Premiere!

So blieben zuletzt die nachgelieferte Aufzeichnung auf 3sat – ein nur bedingter Ersatz. Zumal wir immer wieder mit der Bildregie hader[te]n: zu viele Schnitte (zu hektisch, nicht dem Werk, nicht der Musik gemäß), zu viele Nahaufnahmen, teilweise unangenehm dicht, und deshalb fast durchweg nur Ausschnitte. Seltenst kann man die ganze Bühne erblicken, was für einen Gesamteindruck aber unabdingbar wäre. Obwohl sonst zumindest handwerklich in Ordnung, gab es in diesem Jahr während der »Meistersinger«-Premiere sogar mehrfach Schnitte auf unscharfe Kameras oder solche, die erst »auf Position« (zurück) fuhren.

Isolde (Camilla Nylund, vorn) ist mit ihrem Wissen und der Vergangenheit beschäftigt. Auf ihrem Gedankenkleid sind Worte wie »Rache«, »Trug« und »Tantris« (Tristans Pseudonym) zu erkennen, dahinter: Brangäne (Ekaterina Gubanova), Tristan (Andreas Schager), Kurwenal (Jordan Shanahan) und Marke (Günther Groissböck), Photo: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Das war bisher nicht vorgekommen, doch die Nahaufnahmen schlossen schon 2024 einen genaueren Einblick in das »innere Drama« von »Tristan und Isolde« aus. Wir waren also gespannt, wie es im Festspielhaus wirklich wirken würde.

TRISTAN UND ISOLDE 2025

Leider nicht viel besser, wobei – um das gleich vorwegzunehmen – »Tristan« nicht nur hinter den Erwartungen, sondern hinter dem überwältigenden Eindruck des am Vortag erlebten »Lohengrin« zurückblieb. Und das leider in jeder Hinsicht: Gesang / Besetzung, Dirigat und Inszenierung [besuchte Vorstellung: 10. August].

DIE INSZENIERUNG

Doch zunächst zum Stück bzw. dem Regieansatz. Thorleifur Örn Arnarsson legt dem »inneren Drama«, als das »Tristan« oft angesehen wird, da es weniger von einem Handlungsverlauf geprägt ist, sondern von drei Momenten und Zuständen, innerer Bewegung, Abwarten und Liebessehnen, einen Gedankenraum zugrunde, den Vytautas Narbutas (Bühne, Kostüme: Sibylle Wallum) in einen Schiffsrumpf verlegt hat. Was anfangs (erster Aufzug) noch aussieht wie der tatsächliche Schauplatz des Dramas (Tristan und Isolde befinden sich an Bord eines Schiffes auf dem Weg nach Cornwall), erweist sich mehr und mehr als irreal oder als Gedankenraum, als Depot und Archiv, als Sammelsurium aller möglichen Erinnerungen. Gerade weil es sich um Erinnerungen in einem »Gedankenpalast« handelt, sind sie, die »Dinge« oder Erinnerungsfragmente, auch zur Stelle, wenn man sie braucht, wie das Fläschchen mit dem Liebes- bzw. Todestrank, den Tristan und Isolde gemeinsam einnehmen. (Hätten sie ihn wirklich an einem realen Schauplatz gesucht oder wären zum Schiff zurückgekehrt, wäre das wohl kaum möglich gewesen, zumindest sehr unwahrscheinlich.)

Isolde (Camilla Nylund) im Gewissenskonflikt: Wem hält sie die Treue? Dem getöteten Verlobten Morold oder dem Geliebten Tristan? Photo: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Ist also Tristans Lieben und Sehnen nur ein Wahn, ein Fieberprodukt? Das kann man als Gedanken gern im Anschluß reflektieren, doch im Augenblick des Erlebens überzeugt Thorleifur Örn Arnarssons Ansatz nicht wirklich. Auch die Bedingtheit der Zustände reicht nicht an die Idee von Christoph Marthaler heran, der in seinem Bayreuther »Tristan« 2005 die Räume ebenso aufeinander bezog und in einem vertikalen Turmbau miteinander verband. Die schwierige Nachvollziehbarkeit rührt nicht zuletzt daher, daß die meisten Szenen in abgedunkelter, nur mäßig gelb-orange beleuchteter Umgebung ablaufen. Somit kann man all das, was via Fernsehen so ständig nervig nah, aber sichtbar war, kaum erkennen. Was nahm Tristan im zweiten Aufzug denn in die Hand? Eine Fischkonserve? Noch schlimmer: in der dämmerigen Atmosphäre verliert man leicht die Orientierung. Denn »Tristan« wird von vielen Paarszenen getragen, in denen aber einer der beiden eine längere Passage oder einen Monolog singt. Wer sich auf den einzelnen einläßt, verliert schnell den Partner aus dem Auge – Isolde im Schiffsbug wiederzufinden, als sie sich zwischen all dem Gedankengut (oder Gerümpel) einen Platz gesucht hatte, brauchte einen Moment.

DIE AUFFÜHRUNG

Die Musikalische Leitung lag in den Händen von Semyon Bychkov, der für seine leidenschaftliche Interpretation vom Publikum gefeiert wurde. Dennoch fiel – gerade gegenüber »Lohengrin« – auf, daß Bychkov weit entfernt ist von Christian Thielemanns differenzierter Herangehensweise. Das führte nicht nur dazu, daß man die Sänger oft kaum verstehen konnte, weil das Orchester zu laut war, es betonte zudem die Konturlinien übermäßig, wie schon die Holzbläsersoli im Vorspiel. Hinsichtlich, Glut, Wärme und Farbe blieb Semyon Bychkov dem Publikum bzw. Wagner allerdings nichts schuldig.

Nur in Nahsicht erkennbar: Tristan (Andreas Schager) und Isolde (Camilla Nylund) im Räderwerk der Welte(n) – der persönlichen wie der großen, Königreiche bestimmenden, Photo: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Auch die Besetzung an sich war erstklassig – jedoch nicht stimmig. Denn weder bildeten Tristan (Andreas Schager) und Isolde (Camilla Nylund) ein gleichwertiges Paar, noch ist der sympathische Tenor überhaupt ein Tristan. Andreas Schager bot die sagenhafte Gestalt des Prinzen, Druiden […?] mit jenem strahlenden Glanz, der jeden Siegfried auszeichnet. Was herrlich war, nicht zuletzt – das darf unter keinen Umständen vergessen werden – für die Fans von Andreas Schager, die ihn gern erleben wollten und von dem völlig berechtigten Wunsch, daß ein Sänger seiner Rolle etwas ganz Besonderes von sich selbst gibt, angetrieben waren. Schager erhielt am Ende den größten Applaus, was er sichtlich genoß. Dennoch – ein Tristan ist er beileibe nicht, da muß man nicht erst den Zustand des siechen, sterbenden Helden als Argument bemühen.

Also sang er oft die völlig souveräne und passend besetzte Isolde »an die Wand« (in diesem Falle Bordwand). Camilla Nylund wollte sich sicher nicht nur als »Gegenpol« aufbauen und blieb in den Szenen in der Wahrnehmung oft hinter Tristan zurück. Was aber ein falscher Eindruck war, wie nicht erst der betörende Liebestod am Ende bewies (auch sie erhielt riesigen Applaus). Schon im zweiten Aufzug hatte Isolde im Dialog mit Brangäne und schließlich gegenüber Tristan in Monologpassagen (»Oh eitler Tagesknecht!«) ihre wahre Kraft gezeigt. Der sanfte, innig liebende Ruf Brangänes indes rettet das Paar nicht, Kurwenal kann den Zusammenprall mit Marke und Melot und dessen tödliche Folgen nicht hindern …

Links: Getreuer verbündeter, aber letztlich weniger geliebter (?) Vasall: Melot (Alexander Grassauer), König Marke (Günther Groissböck), rechts: Ziehsohn und an sich Lieblingsfreund Markes: Tristan (Andreas Schager), Photos: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Womit positiv anzumerken bleibt: Neben den szenisch nicht wegen der Idee, sondern vor allem wegen des düsteren, schwer erkennbaren Bühnendurcheinander enttäuschenden Eindrücken sorgten zum Beispiel die Nebenfiguren oder zweiten Hauptrollen für einen Ausgleich. Außer den souveränen Alexander Grassauer als impulsiver, fast schurkischer Melot, Matthew Newlin als Junger Seemann und Daniel Jenz als Hirt lagen wirkliche Kontrapunkte bei Jordan Shanahan (Kurwenal) und Ekaterina Gubanova (Brangäne). Vor allem letztere sorgte in Semyon Bychkovs eher sanguinisch überbordender Interpretation für die einfühlsamsten Augenblicke. Nicht nur Hingabe oder Unterwürfigkeit binden Brangäne an ihre Herrin, sondern echte Liebe – fast wie eine Mutter! Ähnliches ließe sich für Jordan Shanahan sagen, selbst wenn hier ein Vaterbild dann doch nicht stimmte. Männerfreundschaft und unverbrüchliche Treue treffen es besser, aber auch Besorgnis um den todkranken Freund. Nur schade, daß Kurwenals Auftritte von der Inszenierung geradezu bloßgestellt, ihres inneren Gehalts beraubt wurden!

Der Chor hat bei »Tristan« eine untergeordnete Rolle, weil er im Grunde nur die Schiffsmannschaft mit den Männerstimmen und im Hintergrund darstellen muß, doch gelang dies überzeugend und mit ausgezeichneter Qualität (Chorleitung: Thomas Eitler-de Lint). Bleibt noch König Marke – wohl keine Nebenrolle! Wie geschaffen für einen »Typen« wie Günther Groissböck, der die wenigen Auftritte ganz ohne Egozentrik zum Erlebnis machte. Abgesehen davon, daß man ihn (sein Stimmfachvorteil) als einzigen ausnahmslos verstehen konnte, weiß er doch, binnen kürzestem zu fokussieren. Ein Satz, ein Vers, manchmal ein Wort (»Halte, Rasender! | Bist du von Sinnen?«) brachten Markes Ansinnen, aber auch dessen Zwiespalt auf den Punkt – dafür wurde Groissböck von »seinem« Publikum gefeiert.

Im Weitblick schon ein Wimmelbild: »Tristan«, zweiter Aufzug, zu finden sind: Kurwenal (Jordan Shanahan), Marke (Günther Groissböck), Tristan (Andreas Schager), Isolde (Camilla Nylund), Melot (Alexander Grassauer) sowie Brangäne (Ekaterina Gubanova), Photo: Bayreuther Festspiele, © Enrico Nawrath

Was blieb? Kein guter Ausgang – oder doch? Wie könnte man Richard Wagners Gestaltung des Endes von Tristan und Isolde anders auffassen als Erlösung, Vereinigung und Lohn ewiger Liebe und Treue? Daran änderte auch Thorleifur Örn Arnarsson etwas spezielle Auffassung nichts.

12. August 2025, Wolfram Quellmalz

Wir freuen uns auf 2026! Dann kehrt Dmitri Tcherniakovs großartiger »Holländer« mit Oksana Lyniv zurück, die wir portraitieren wollen. Als Daland ist der König Heinrich des diesjährigen »Lohengrin«, Mika Kares, vorgesehen. Außerdem kehren die Senta der Premierenbesetzung, Asmik Grigorian, und Benjamin Bruns als Steuermann zurück. Was darüber hinaus passiert, ist noch offen – bis zum nächsten Jahr!

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