Les Otros in der Hoflößnitz
Wer die Gambistin Hille Perl kennt, hat sie vermutlich mit Bach oder Telemann erlebt, oder auch im Film – 2017 spielte sie in Michael Hanekes »Happy end« eine Gambistin (bzw. sich selbst) – immer wieder hat Haneke für seine französischen oder französisch-österreichischen Produktionen echte Musiker als Nebendarsteller gefunden, wie Alexandre Tharaud (»Liebe«, 2012). Doch am Sonntag in der Hoflößnitz spielte eine ganz andere Musik – gemeinsam mit Lee Santana und Steve Player forscht Hille Perl schon seit fast einem viertel Jahrhundert als »Los Otros« (die Anderen) der Musik reisender hispanischer Musiker nach. Vieles davon mußte erst wiedergewonnen, rekonstruiert werden.
Und manches ist kaum mehr als der Versuch einer Annäherung. Denn ein skizzenartiges, wiedergefundenes Lehrbuch aus dem 17. Jahrhundert gab den Musikwissenschaftlern zunächst Rätsel auf – ganze Stücke ließen sich darin nicht erkennen. So kam es, fast mit einer Geste der Hilflosigkeit, zu Lee Santana, der in mühevoller Puzzlearbeit nicht nur probierte, die Fragmente zu spielen und sie zusammenzusetzen (wie es gewesen sein könnte), sondern sogar zwei deutsche Instrumentenbauer fand, mit Gitarren und ähnlichem erfahren, die sich auf Basis einer im Lehrbuch gezeigten Darstellung einer Cister (oder Zister) an den Bau eines solchen Instruments wagten – noch dies eine Rekonstruktion. Die Cister ist so groß wie eine kleine Gitarre, hat aber chörige Saiten – unter jenen Saiten, die gezupft oder angeschlagen werden, schwingen weitere Resonanzsaiten frei mit. Ihr Klang liegt zwischen jenem von anderen Zupfinstrumenten wie Gitarren, Psalterium oder Zither, erfährt mitunter aber auch die Beimischung eines Glöckchens.

Doch mit dem »Klang« wäre unzureichend beschrieben, was »Les Otros« aufführten, denn die (vermutlich) ursprünglich iberische Musik, die reisende Komponisten oder Auswanderer wie Anthony Holborne, Sebastian de Aguirre, Santiago de Murcia, Gaspar Sanz oder Antonio Martin Y Coll geschrieben haben, enthält vielfältige, oft folkloristische Elemente. Und sie wurde oft kaum aufgeschrieben, sondern mündlich oder durch Vorspielen weitergeben. Anders als bei der Alten Musik Europas, zu der es jede Menge Manuskripte, Skizzen und zeitgenössische Notenausgaben gibt – und trotzdem viele Fragen offen sind – ist der Anteil am ungelösten, geheimnisvollen in Südamerika noch viel größer.
Also wunderte es nicht, daß der Klang allein angerissener Saiten nicht genügte für die Musik. Denn im Trio mit beständig wechselnden Instrumenten (verschiedene Größen, es gab aber auch eine klassische Gittarone (Chitarrone) war der Rhythmus immer wieder bestimmend – auf dem Korpus geklopft, geklatscht oder gestampft, Steve Player erwies sich dabei noch als veritabler Stepptanzvirtuose – wohlgemerkt ohne dabei im Spiel der Cister nachzulassen!

Die meist kurzen Stücke standen wohl meist in der Tradition des Erzählens und Beschreibens, wie schon die Titel (»La oleada« / der Anstieg oder »Canarios« / Kanarienvögel) zeigten. Manches ist allerdings vieldeutig, wie »Hacha«, das ebenso Axt wie As meint – das gleichnamige Stück lief in pendelnder Ruhe aus. Es gab aber auch Stücke über einen Baumfrosch (El coquis) und Einladungen zum Ball, sowie – keine Überraschung – eine Fassung der »Folias« von Antonio Martin Y Coll.
Les Otros erwiesen sich als flexibles Ensemble, das auch einmal Gitarren zu dritt spielte – nur Hille Perl wollte ihre Gamben nicht hergeben und behielt sie für sich – aber als Spezialistin auf diesem Gebiet hätten ihr die Kollegen wohl kaum den Rang ablaufen können. Zudem hielt sie – neben den Rekonstruktionen, die Lee Santana und Steve Player spielten, das älteste Instrument in den Händen. Ihre Viola da Gamba ist ein Original von 1685 (!).

Dafür hat sich Steve Player in Sachen Instrumententausch etwas Besonderes ausgedacht: für den Stimmungswechsel in »Canarios« hatte er sich kurzerhand zwei Cister- bzw. Gitarreninstrumente umgehängt, die er abwechselnd spielte. Letztlich zeigten sich viele Verbindungen mit der Europäischen Musik oder zur iberischen Herkunft, etwa in den oft ostinaten Stücken, die mit kurzen Themen und Melodien arbeiten, diese aber beständig wiederholen und verändern.
25. August 2025, Wolfram Quellmalz