Stephan Leuthold an der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche
Da hatte es eben erst einen Orgelhöhepunkt mit dem Spaziergang am Sonnabend gegeben [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2025/08/28/farbbetrachtungen/], da folgte gestern sogleich der nächste: Domorganist Stephan Leuthold (Bremen) brachte die Silbermann-Orgel in der Dresdner Hofkirche (Kathedrale) förmlich zum Singen.
An den Anfang seines Programms hatte er die Toccata settima aus dem Apparatus musico-organisticus von Georg Muffat gesetzt – auch die hatten wir kürzlich erst gehört (Kreuzchorvesper am Sonnabend). Doch es war uns sehr recht, dem Kleinod so schnell wieder zu begegnen. Stephan Leuthold ließ den Präludiumabschnitt regelrecht ins Kirchenschiff schreiten, woran sich der verspielt Mittelabschnitt anschloß, der mit seinen Flöten- bzw. Holzbläserstimmen an eine spielfreudige Orgelwalze erinnerte. Aus einem schimmernden Ruhemoment, bei dem bereits das Singen der Orgel anklang, führte die Toccata in den Schlußteil mit zwei fugierten Abschnitten, die festlich begannen und prächtig schlossen.

Das allein wäre schon den Besuch der Hofkirche wert gewesen, doch die nächste lohnende Überraschung gab es sogleich: freie Improvisationen im Stil einer Französische Suite à la Johann Sebastian Bach. Grundlage war der Choral »Was Gott tut, das ist wohlgetan«, der auch immer wieder zwischen den Verzierungen und modulierten Führungen durchschimmerte, sich manchmal keck bemerkbar machte, wie im ersten Menuet. Apropos »keck«: zur Suite gehörte ein Saltarello, den man vorsichtig ausgedrückt in Französischen Suiten ebenso »oft« trifft (eher gar nicht) wie bei Bach – die Freiheit der Form schließt die Ausschweifung, Abschweifung und das Fremdgehen mit ein, oder möchte jemand sagen, Improvisieren könne man nur regelgerecht?
Vielmehr bestach diese Suite durch ihren geschmeidigen Eingang (Allemande) und die frische, punktierte Courante. Die Sarabande schien wie von Bach diktiert und glich die Keckheit des Saltarello spielend aus (wenn es jemanden danach verlangte). Das zweite Menuet durfte vor dem Saltarello sanft beruhigen, während die Gigue mit Fuge und Motivumkehr einen Gipfelpunkt markierte. Dabei hatte Stephan Leuthold abwechslungsreich die Farben der Silbermann-Orgel eingesetzt.
Auf die solistischen Stimmen der Bläser folgte mit Jean-François Dandrieus Magnificat III g-Moll (Premier Livre de Pièces d’Orgue) die stimmungsvolle Chromatik, die auf Symbiose, fast schon Sinfonie beruht statt auf Soli. Das Plein jeu schien weit und flächig, ergreifend, während Duo und Trio erneut Gesangsstimmen hervorkehrte (das Trio dabei schlanker). Danach durfte das Basse de cromorne (Register vergleichbar Krummhorn) in einen Dialog mit den begleitenden Registern treten, denn Stephan Leuthold kehrte nicht allein die Stimmkraft hervor. Mit Récit de nazard blieb das Magnificat (ganz der Herkunft gemäß) singend, bevor der Dialogue einen prächtigen Schlußpunkt setzte.
Mit den letzten Stücken trat die Kantabilität noch deutlicher hervor: Schon die Drei Choralbearbeitungen von Johann Ludwig Krebs (»Herr Jesu Christ, dich zu uns wend’«, »Mein Gott, das Herze bring ich dir« sowie »Oh Ewigkeit, du Donnerwort«) zeigten den so oft als Bachschüler stigmatisierten Komponisten mal in einem anderen Licht. Gesanglich sehr geschmeidig (erste Choralbearbeitung) und mit stark hervorgehobenen Kontrasten (dritte) bewahrte Stephan Leuthold in den Stücken eine individuelle Kraft, aber auch Ausgewogenheit.
Das hielt bei Johann Sebastian Bach an, dessen Bearbeitung einer Arie (»Ertödt‘ uns durch dein Güte, erweck uns durch dein’ Gnad« aus BWV 22, für die Orgel eingerichtet von Maurice Duruflé) den Choral mit Sanftheit durchschimmern ließ. So wie er auch in der Sinfonia zur Kantate »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« (Actus tragicus) BWV 106 (Orgelfassung: Alexandre Guilmant) zu vernehmen war.
Mit Praeludium con Fuga in C (BWV 566) von Johann Sebastian Bach schloß sich mehrfach ein Kreis. Einmal, weil die Öffnungsakkorde des Präludiums in der Farbigkeit an Dandrieus Plein jeu erinnerten, die äußerst leichtfüßig beginnenden Fuge (genaugenommen Fugen) schien außerdem in ihrer raffinierten Harmonik einen weiteren Choral, zumindest ein Liedmotiv, zu bergen.
28. August 2025, Wolfran Quellmalz