Dresdner Kreuzchor zu Gast in der Marienkirche Pirna
Der Dresdner Kreuzchor ist in diesem Schuljahr noch in London zu erleben (Requiem A von Sven Helbig im Oktober), wird im Advent das Weihnachtsoratorium in Berlin singen und die Saison nächsten Sommer mit einer Deutschlandreise beschließen. Zum Auftakt war er im sächsischen Umland zu erleben. Nach einem Gastkonzert in Grünthal (Erzgebirge) kam er am Donnerstag in die Kirche St. Marien nach Pirna, am Sonnabend danach war er in Strehla eingeladen. Schon daß das Programm nicht jedesmal dasselbe war, zeugt vom hohen künstlerischen Niveau und Potential. Selbst im Vergleich zur Kreuzchorvesper am Sonnabend zuvor gab es in Pirna nur wenige einzelne Überschneidungen.
Dabei kam das Konzert hier einer Vesper am nächsten, sorgten doch Kantor Florian Mauersberger (Gemeinde St. Marien) für den Einzug an der großen Jahn-Orgel und Superintendentin Brigitte Lammert für Begrüßung und Andacht.

Mit Max Regers »Morgengesang« präsentierte sich der Kreuzchor nicht nur mit seiner homogenen Größe und Stärke, Kreuzkantor Martin Lehmann baute bereits hier eine auf Zeilen, teils auf einzelne Worte und Verse zielende Dynamik auf – ein gestalterisches Merkmal, das an diesem Abend immer wieder betonend, aber dramaturgisch ausgewogen spürbar wurde.
Zunächst gab es einen Sprung zurück in der Zeit – eine erfrischende Besinnung auf die eigene Tradition bzw. die regionale Musikhistorie. Mit Andreas Hammerschmidt (»Jauchzet Gott alle Land«) und Heinrich Schütz (»Der Himmel erzählt die Ehre Gottes«) standen sich zwei Renaissancekomponisten gegenüber, die befreundet und einander vielleicht Vorbild waren. Der Wechsel der Stimmgruppen (Hammerschmidt) oder zwischen beginnenden Soli und nachfolgenden Chorgruppen (Schütz, Chordirigent Sebastian Herrmann jeweils an der Continuoorgel) wirkte nicht nur belebend, er fand in der tollen Akustik der Marienkirche auch einen betörenden Nachhall! Hammerschmidts »Laßt seinen Ruhm weit erschallen« vermittelte einen Eindruck, daß dieser Schall sich nicht einfach ausbreitet, sondern die Zuhörer bis in die letzten Reihen und die Emporen der dichtbesetzten Marienkirche berührt. Wer so etwas in noch größerer Dichte erleben mag, der merke sich den Reformationstag vor, dann gibt es in Zittau ein ganzes Hammerschmidt-Festkonzert (350. Todestag am 20. Oktober).
Doch der Kreuzchor »kann auch anders«, zum Beispiel romantisch, wie Felix Mendelssohn, Carl Reinthaler oder am Ende Anton Bruckner (»Os justi«) bewiesen. Dabei ergaben sich spannende Gegenüberstellungen, denn Reinthaler hatte wie Mendelssohn Verse aus Psalm 100 vertont. Das »Jauchzet dem Herrn alle Welt« klang bei ihm noch im »wiederholten »Jauchzet« deutlich zurückgenommener und gedämpfter als bei Mendelssohn, bei dem es allmählich wuchs und immer leuchtender wurde. Programmatisch ergab sich daraus keine Kluft, denn die Titel erklangen nicht in direkter Folge. Einerseits steuerte Florian Mauersberger als Hausorganist zwischendurch zwei Sätze aus Louis Vierne farbenprächtiger dritter Orgelsinfonie bei (ein virtuos leuchtendes Allegro sowie ein dem Gesang ergebenes schwebendes Adagio), andererseits hatte Martin Lehmann weitere Stücke eingefügt, wie Felix Mendelssohns »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Die Motette mit verteilten Solostimmen, auf welche die Stimmgruppen bzw. der Chor einstimmen und antworten, gehörte zu den beeindruckendsten Stücken des Abends. Wortverständlichkeit, Klang und Ausdruck waren auf hohem Niveau!
Das ergänzte Andreas Hammerschmidts Andachtsmusik »Der Herr ist mein Hirte«, wobei mit Continuo noch einmal die Renaissancefarben strahlten. Doch war das Strahlen bei den übrigen, meist a cappella präsentierten Werken nicht geringer und reichte mit Laudate Dominum von Urmas Sisask, einem Klassiker der Gegenwartsmusik, bis in unsere Tage. Doch Martin Lehmann hatte noch mehr anzubieten und wußte den Raum zu nutzen – Oskar Wermanns »Vaterunser« erklang mit einem Echochor auf der Orgelempore. Zoltan Kodály sorgte mit der biblischen Erzählung über »Jesus und die Krämer« für den expressivsten Eindruck – daß die Verständlichkeit des Chores so gut war, sei an dieser Stelle noch einmal besonders betont.
Da mußten letztlich trotz eines »anstrengenden Schultages« (Martin Lehmann) zwei Zugaben folgen. Der Kreuzkantor hatte zuvor nicht vergessen, wie wichtig in der Organisation solcher Konzerte die vielen ehrenamtlichen Helfer der Gemeinde sind und ihnen besonders gedankt. Er selbst erhielt einen Dank (Blumen) von Florian Mauersberger und gab den Strauß sogleich weiter an die Solisten.
Kruzianer müssen offenbar immer singen – nach dem Konzert, auf dem Weg nach Hause, hörte man sie noch immer, als sie für sich waren und offenbar einem Ritual des Absingens folgten …
29. August 2025, Wolfram Quellmalz
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