Rolle vorwärts oder rückwärts?

Serkowitzer Volksoper »räubert« bei Verdi, Lortzing und in der Musikgeschichte

Ob früher wirklich alles besser war, das läßt sich schwer sagen [überhaupt: ich habe noch niemanden getroffen, der das wirklich behauptet hätte! Anm. d. Rezensenten]. Vielleicht war es besser, aber vielleicht waren die Dauphins früherer Zeiten schon genau so unzuverlässig und peinlich wie manche heute – nur hatten sie damals noch kein Instagram und TikTok, und die Leute waren ergeben und verschwiegen und so hat es kaum jemand bemerkt …

Bei der Serkowitzer Volksoper hat sich manches geändert: Wolf-Dieter Gööck zog sich aus der Leitung zurück, dem diesjährigen Sommerstück spendierte er dennoch ein Textbuch. Diesmal mit einer Melange aus Giuseppe Verdis »Un giorno di regno« (König für einen Tag) und Albert Lortzings »Zar und Zimmermann«. Neu in der Regie ist Clemens Kersten, Vater Milko hält die musikalischen Fäden aber weiter in der Hand: einerseits ist er für das Pasticcio der Opern und die Arrangements verantwortlich, außerdem leitet er das Ensemble Musi nad labem, das deutlich mehr Instrumente spielt, als es Spieler hat: Es sind derer vier: neben Kersten (Leitung und Piano) Karina Müller mit der Violine, Daniel Rothe bläst auf Klarinetten und Saxophon, sowie Leonhard Endruweit mit Kontrabaß und Tuba. Wenn Schlagwerke, Hintergrundstimmen oder ein Chor gebraucht werden, ist jeder von ihnen dran. Mit Mia Kersten (Maske) könnte fast familiäre Atmosphäre aufkommen …

Frisch rasiert und keine Lust aufs Regieren: die Prinzen wollen flüchten, Photo: Serkowitzer Volksoper, © Robert Jentzsch

Die entsteht auf der Bühne des Zirkuswagens: die Könige der Reiche Obermittelgourmetien und  Westtransflaschtekistan sind ihrer mangelnden Sorgfalt mit Leben und Körper zum Opfer gefallen. Noch glitzern ihre Reiche in Gold und Silber (Bühne und Kostüme: Pauline Malack), aber die Herren Söhne haben nichts gelernt und mögen keine Verantwortung tragen – da machen sie sich aus dem Staub und lassen ihre Diener zum Schein krönen.

Zum Schein? Wer die Krone trägt, ist König! Kameradschaft, Neid, Loyalität und Eifersucht – in Serkowitz geht es zu, wie in einer richtigen Familie. Musikalisch wird das von der Kapelle volkstümlich ausgeleuchtet, vor allem aber vom Sängerquartett (Maria Perlt-Gärtner, Julia Böhme, Kota Katsuyama und Cornelius Uhle) prächtig dargestellt. Die vier singen und spielen so flexibel und individuell, wie es zu ihren Rollen und Kostümen paßt. Vor allem Neuzugang Kota Katsuyama überzeugt nicht nur mit schönem Tenor, sondern ungemeinem Witz. Wenn er staubtrocken kommentiert, sitzt jede Pointe. Das spitzt sich zu, weil er bzw. der Diener, den er darstellt, immer alles negativer sieht als sein Gegenüber (Cornelius Uhle). Maria Perlt-Gärtner, die in diesem Jahr zur Serkowitzer Volksoper zurückgekehrt ist, brilliert mit ihrem Sopran, der manchmal leuchtet und glitzert, als wollte die Königin der Nacht den Zirkuswagen aus Rache niederbrennen … Stimmlich ist Perlt-Gärtner der auffälligste Glanzpunkt dieser Produktion.

Gefälscht! die sind nicht echt, Photo: Serkowitzer Volksoper, © Robert Jentzsch

Auf das eher nachdenkliche Erich-Kästner-Programm »Kennst Du das Land, wo die Optionen blühen« im vergangenen Jahr folgt diesmal also wieder eine Komödie bei der Serkowitzer Volksoper. Ein bißchen hat sie vielleicht das Problem, daß zwar die Musik aus Lortzings »Zar und Zimmermann« recht bekannt ist und verarbeitet werden kann, wie die Arie »O sancta justitia!« (»Denn ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht«) des Bürgermeisters, das Publikum läßt sich à la Singschule mit neuem Text für einen Hymnus (»Lorem ipsum dolor sit amet …«, unübersetzbar verdrehtes Latein, aber es tut fast »weh«) einspannen, jedoch bei Verdi müssen schon die anderen, bekannteren Opern für Zitate herhalten. Milko Kersten bedient sich trefflich – offenbar genügte ihm das aber nicht, und so mußten auch das Weihnachtsoratorium sowie Beethovens »Ode an die Freude« mit ins Stück. Selbst wenn sich inhaltlich (»Großer Herr, oh starker König«) mancher Zusammenhang herbeireden oder -singen ließ, so trug es letztlich doch eher zum bunten Potpourri bei als zu gezielt pointierter Komik. Dazu sorgen manche Sponti-Sprüche (»Ciao Kakao«) für reichlich Kalauer im Stück – ganz ungewohnt in Serkowitz drückt das ein wenig das gewohnte Niveau und betont die Unterhaltung.

Dabei sind die Ingredienzen mehr als gut, weil sich bewährte und neue Kräfte gut mischen, wie das gegensätzliche Dienerpaar Cornelius Uhle (»ran ans Tagwerk« ) und Kota Katsuyama (zum gleichen Thema: »die tägliche Plackerei«) zeigt – der eine geht frohgemut heran, der andere sieht nur die Probleme (aber hat er nicht Recht?).

Übernehmen Marsmännchen die Regierungsgeschäfte? Photo: Serkowitzer Volksoper, © Robert Jentzsch

Die Prinzen machen sich also aus dem Staub, die Diener übernehmen, die Zeremonienmeister (Maria Perlt-Gärtner und Julia Böhme) ebenso … Maria Perlt-Gärtner und Julia Böhme schlüpfen noch in andere Rollen (Marie und Marchesa), während aus Kota Katsuyama und Cornelius Uhle plötzlich Marsmännchen werden – bitte? In der Tat, was zunächst als Nebenbemerkung im Raum stand, wird plötzlich zum Handlungsstrang. Das »funkt«, wenn die beiden in Raumanzügen auftauchen, doch es scheint, dem Stück fehlt ein echter Schluß. Oder müssen wir noch etwas dazulernen?

1. September 2025, Wolfram Quellmalz

Serkowitzer Volksoper in der Sommerwirtschaft Saloppe, Vorstellungen noch einmal morgen sowie am 8., 10. und 15. September

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