»Schlechte, böse, gemeine Welt!«

Sir John Falstaff in der Semperoper lebt besonders durch Nicola Alaimo und Daniele Gatti

Das Stück ist im Grunde ein guter Einstieg – als Komödie oder Burleske für jemanden, der sich im Schauspiel auskennt und einmal Oper probieren möchte, aber auch generelle Neubesucher können an Damiano Michielettos Inszenierung von Giuseppe Verdis »Falstaff« in der Semperoper ihre Freude haben. Wer allerdings den typischen Verdi sucht, Melodiösität und Drama, muß sich erst einmal umgewöhnen (obwohl das Drama letztlich hinter den Kulissen lauert). Michieletto und sein Team (Bühnenbild: Paolo Fantin, Kostüme: Agathe MacQueen) erleichtern dem Publikum mit der bunten Inszenierung den Zugang in jedem Fall.

Auf Shakespeare muß man allerdings verzichten. Vielmehr ist Falstaff hier ein Altrocker oder frühzeitig gealterter Sänger, der vom verbleichenden Erfolg zehrt, selbst wenn er mit seinen Bandmitgliedern Bardolfo und Pistola eigentlich weitermachen will – aber im Grunde ist die Luft raus. Verblaßter Ruhm …

Groupie und Idol? Mrs. Quickly (Marie-Nicole Lemieux) besucht den Ex-Rockstar Sir John Falstaff (Nicola Alaimo), Photo: Sächsische Staatsoper, © Jochen Quast

Erfrischend ist an dieser Inszenierung, wie das gealterte oder verbrauchte dargestellt wird. Vor allem aber profitiert »Falstaff« von einer geradezu magischen Kraft der Sächsischen Staatskapelle. Das ist eben kein Strauß, Wagner oder Verdi im herkömmlichen Sinn, sondern ziemlich ungewohntes Terrain. Aber Daniele Gatti, das »Probentier«, hat alles perfekt eingerichtet. Wenn Verdi keine weiten Bögen und großen Gefühle bietet, muß es um so pointierter klingen – genau das gelang bereits in der Premiere. Ob sich da ein Eselsmotiv (»I-aah«) durchmogelte, als Falstaff gefoppt wurde oder sich passend zur farbenprächtigen Bühne ein bunter Klangreigen auffächerte – das perlte und prickelte und lebte von den Gegensätzen und Kontrasten. Wunderbare Kantilenen (Englischhorn) gab es noch dazu, aber vor allem einen »szenischen Klang«, wie im dritten Aufzug, als das Horn im Hintergrund, in der Ferne rief und die kleine Gruppe der Holzbläser dazu im schlanken Ensemble den ganzen Raum ausfüllten. Da durfte man sich am Ende wundern und doch zustimmen – während der Applaus für die Sänger erstaunlich einheitlich blieb, gab es, als Daniele Gatti auf die Bühne trat, stehende Ovationen.

Mehr Traumbild als Realität: Sir John Falstaff (Nicola Alaimo) inmitten von Frauen, die ihn begehren (?): Nannetta (Rosalia Cid), Mrs. Alice Ford (Eleonora Buratto), Mrs. Meg Page (Nicole Chirka) und Mrs. Quickly (Marie-Nicole Lemieux), Photo: Sächsische Staatsoper, © Jochen Quast

Dabei überzeugte die Besetzung nicht nur »durchaus«, sondern mit Tatkraft. Allen voran der künstlich gealterte und behäbig gewordene Nicola Alaimo als Sir John Falstaff. Ihm nahm man die Rolle ohne Zweifeln ab, auch wenn sie (mindestens) zehn Jahre zu weit weg von ihm scheint (der Bariton wurde am Premierentag 47 Jahre alt). Abgesehen vom überzeugenden Spiel wußte er kraftvoll den Bandleader darzustellen, fügte sich fließend in die Ensembleszenen und konnte betörend im Piano flüstern – Falstaffs Selbstgespräche und Gedanken sind schließlich wesentlich, wenn man die Handlung verfolgen will. Dazu bot Nicola Alaimo noch eine vierte Raketenstufe, wenn Falstaff im Falsett die Frauen nachahmte. Simeon Esper als Bardolfo, und vor allem der kernige Pistola Marco Spottis vervollständigten das Ex Trio infernale.

Für Falstaffs Widersacher Ford fand Lodovico Ravizza leidenschaftliche Züge – er ist einerseits eifersüchtig wegen des (vermeintlichen) Techtelmechtels seiner Frau mit einem Geliebten, den Ford zur Strecke bringen möchte, andererseits will der »treusorgende Familienvater« die Tochter unter die Haube bringen. Allerdings unter die von ihm ausgesuchte »Haube« (Dottore Cajus / Didier Pieri), nicht jene, die das Töchterchen Nannetta will. Die macht aber nicht mit – Nannetta (Rosalia Cid) und Fenton (Juan Francisco Gatell) stachen mit ihren jungen, schlanken und schönen Stimmen im Spiel der Ränke und Schliche heraus.

Wer macht den nächsten Zug? »Falstaff« an der Semperoper gleicht manchmal einem Liebes-Schach, Nannetta (Rosalia Cid), Sir John Falstaff (Nicola Alaimo), Mrs. Meg Page (Nicole Chirka), Mrs. Quickly (Marie-Nicole Lemieux) und Mrs. Alice Ford (Eleonora Buratto), Photo: Sächsische Staatsoper, © Jochen Quast

An sich fand hier jede Figur zu eigenständigem Klang, nur daß die drei weiblichen Hauptrollen, Mrs. Alice Ford (Eleonora Buratto), Mrs. Quickly (Marie-Nicole Lemieux) und Mrs. Meg Page (Nicole Chirka), die gemeinsame Sache machen, durch die gleichen Kostüme auch gleichgemacht wurden. Das hinderte nicht nur etwas die Übersicht, es bremste die Pikanterie.

Die große Menge, die Vasallen der Umgebung oder das Volk sind immanent zugegen – mal unauffällig im Hintergrund, dann plötzlich (bloßstellend) auftauchend, belauschen, begaffen und kommentieren sie die Szenen der Heimlichtuerei (Einstudierung des Sächsischen Staatsopernchors Dresden: Jan Hoffmann).

Die Bühnen-Bühne – Paolo Fantin hat Falstaff für den Bandauftritt eine Glitzerkulisse geschaffen, die übrigen Räume werden mit Säulen und viel Leuchtelementen abstrahiert – wandelt sich beständig, was aber nicht in endlosen Kulissenfahrten endet, sondern in einem Wechsel der Lichtverhältnisse und -farben, das auch einmal im Saal anglimmt. Im kühlen Blau, giftigen Grün und feurigen Rot spiegeln sich nicht zuletzt die Gefühle. Kein schlechter Zug, diese »Navigation« einzufügen, denn der Handlung und den Turbulenzen der Gefühle nach, bei allem Verdecken, Verbergen und Hintergehen, könnte leicht ein großes Durcheinander entstehen.

Den Ansatz, darein Ordnung zu bringen oder ein moralisches Richtschwert zu schwingen, vermeidet die Regie. Oder fast. Denn die große Fuge, die Daniele Gatti süffig mit Solisten und Chor gestaltet, formuliert zwar ein Schlußwort (»Alles ist Spaß auf Erden«), doch Falstaff fügt sich nur scheinbar und verschwindet von der Bildfläche. Weil er sich »treu« bleibt? »Es gibt keine Tugend mehr, alles geht den Bach runter« hatte er eben noch, die alten Werte vermissend, festgestellt. Also ist er unbelehrbar?

Am Mittwoch wieder sowie am 17. und 24. Oktober: Giuseppe Verdi »Falstaff«, Semperoper Dresden, Damiano Michieletto (Inszenierung), mit: Daniele Gatti (Musikalische Leitung), Nicola Alaimo (Falstaff) und anderen

http://www.semperoper.de

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