Aufs Wort bedacht: »Der zerbrochene Krug«

In Bad Lauchstädt kann Kleist seinen ganzen Witz entfalten

»Festspiel der deutschen Sprache« – klingt das nicht ein wenig hochtrabend, altbacken, elitär? Doch hinter der 2006 von Kammersängerin Edda Moser ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe steckt weit mehr als nur eine Idee. Und schließlich ist sie an keinem beliebigen Ort zu Hause, sondern am Goethe-Theater Bad Lauchstädt.

Am Freitag gab es hier eine szenische Lesung von Kleists »Der zerbrochene Krug«. Wenn auch ohne Kulissen und Kostüme, haben Julia von Sell (Regie) sowie in Dresden nicht unbekannte Ilsedore Reinsberg (Dramaturgie und Lesefassung) für einen reibungslosen Ablauf gesorgt. Die Schauspieler bzw. Leser gehören zu den besten Theaterschauspielern: Peter Kurth als Dorfrichter Adam, Thomas Thieme als Gerichtsrat Walter, Marek Harloff als Schreiber Licht … Schon das laß sich vielversprechend.

Es hörte sich auch so an, denn die szenische Lesung mit verteilten Rollen ließ bald vergessen, daß es da keine Szene, keine Kostüme, kaum Kulissen gab außer einer Tür und dem Raum, der rechts und links oder innen und außen symbolisiert. Ein bißchen wie beim letzten Abendmahl saßen die Schauspieler, und ein wenig war es ja auch so – eine Gerichtsverhandlung am Rande der Formalität, des Abbruchs.

Hauptakteure: Dorfrichter Adam (Peter Kurth), Gerichtsrat Walter (Thomas Thieme), Schreiber Licht (Marek Harloff), Photo: Goethe-Theater Bad Lauchstädt, © David Nuglisch

Vor allem blieb in dieser Lesung Kleist auf das Wort konzentriert und konnte seinen Witz entfalten. Denn das Lustspiel will nicht nur belehren, es unterhielt ungemein, wie man an den Publikumsreaktionen feststellen konnte. Immer wieder gab es Gelächter, ohne daß dazu eine Aktion oder ein Effekt auf der Bühne notwendig gewesen wäre. Und manchmal genügte ein Blick oder ein tiefes Luftholen, wie vom Gerichtsrat Walter nach der Pause, die auch in Kleists Stück eine Pause der Verhandlung gewesen war, für Applaus.

Am Lesen allein lag das nicht, an der Artikulation schon – eine feine, heute oft vernachlässigte Disziplin. Aber vor allem schienen die Stimmen aufeinander zu reagieren. Petra Kleinert als Marthe Rull, die sich über den »Vorfall« ereifert, wobei schließlich nicht nur ihr Krug zerbrach, sondern auch die Tochter Evchen (Antonia Bill) in ein schlechtes Licht geriet. Ist die wirklich zu naiv? Warum sie nicht früher frei sprach, was sie wußte, wen sie sah, vor allem: wer sie spät abends besucht hatte, das blieb ein wenig die Frage.

Da wirkte der rechtschaffene, aber naive Ruprecht (Marcel Heuperman) doch ein wenig glaubhafter. Seinem Vater (Hans M. Stier) blieb es, vor allem sprachlos zu sein angesichts dessen, was sich da offenbarte – wobei Kleists Stück freilich gerade damit spielt, daß sich lange nichts offenbart! Dem Vater oblagen vor allem Zurechtweisungen an den Sohn, daß er sich zusammennehmen möge, damit er keinen Schaden zieht aus der Affaire.

Die Spannung trugen wesentlich Peter Kurth, Thomas Thieme und Marek Harloff. Kurth, mal schnodderig, mal sich lavierend, gelang es, dem zumindest in juristischen Dingen ungelernten Dorfrichter ein Profil zu verleihen, das ihn zunächst sich selbst gegenüber rechtschaffen zu machen scheint. Für ein schlechtes Gewissen scheint ihm, der letztlich überführt wird, nicht nur das Bewußtsein zu fehlen, sondern auch die Erkenntnis. Dagegen hat der Gerichtsrat eine verblüffend »scharfsichtige Nase«. Keineswegs gelangt er allmählich über die ständigen Formverstöße darauf, den rechten Zusammenhalt zu entdecken. Man fragt sich, ob er so hellsichtig ist oder gar geschickt wurde, Adam zu überprüfen? Licht hingegen schien nicht nur besser gerüstet, sondern ein wenig naseweis.

von links: Marthe Rull (Petra Kleinert), Tochter Evchen (Antonia Bill), Dorfrichter Adam (Peter Kurth), Gerichtsrat Walter (Thomas Thieme), Schreiber Licht (Marek Harloff), Vater (Hans M. Stier), Ruprecht (Marcel Heuperman), Photo: Goethe-Theater Bad Lauchstädt, © David Nuglisch

Frau Brigitte (Anne Bennet) brachte schließlich wirklich Licht in die Sache, wer nachts wo war, aus welchem Fenster sprang, wessen Perücke im Rosenstock hing … Das hätte – an sich übersichtlich – wirken können, als sei der Stoff künstlich einen Abend lang in die Länge gezogen. Doch das war es um kein Jota, sondern spannendes Theater, das auf der Bühne und im Kopf spielte. Und vor allem: ein fest der Sprache. Der Dank »so etwas erlebt haben zu dürfen«, war auf dem Weg nach draußen noch mehrfach zu hören.

11. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz

Das »Festspiel der deutschen Sprache« ging am Wochenende mit einer weiteren Szenischen Lesung,  »Der Kaufmann von Venedig«, einem Literarisch-philosophisches Gespräch und einem Festkonzert zu Ende.

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