Ensemble Lachrymae reiste zum Hofe des Sonnenkönigs
Das Leipziger Ensemble Lachrymae war schon einige Male in Dresden zu Gast. Meist gab es dramaturgisch ausgefeilte Programme, wie »Les larmes de la nuit« (Tränen der Nacht) oder »Wahnsinn« (beides 2023), aber auch ein schlichtes Dixit Dominus stand schon über einem Abend (2022). Am Sonntag brachte Lachrymae unter der Leitung von Jonas Kraft prachtvolle französische Barockmusik in die St.-Pauli-Theaterruine und beschrieb den Tagesablauf von Louis XIV.
Und der Beginnt ganz normal mit dem Sonnenaufgang, später wird er mit der Abenddämmerung langsam zu Ende gehen – nur daß der König dabei nicht allein ist. So wie die Erde dem Lauf der Sonne folge, berichtete der Erzähler, folge der Hofstaat mit hunderten Höflingen dem König.
Weil dieser Sonnenkönig es liebte, Zeremonien zu inszenieren und sich vieles in Geschichten und Anekdoten wiederfindet, ließen sich Opernausschnitte und musikalische Beschreibungen von Jean-Baptiste Lully, Michel-Richard Delalande, Pierre Robert, Marc-Antoine Charpentier und André Campra in den Ablauf integrieren, zuzüglich einer Traumbeschreibung von Valentin Ruckebier, der außerdem als Bassist mitwirkte. »Crépuscules« (Dämmerungen) nannte er ein Pré- und ein Postludium, das mit Texten aus Arthur Rimbauds »Illuminations« den Abend einfaßte (Uraufführung).

Dargestellte Personen von links: Henrietta Maria von Frankreich, Königin von England; Philipp I., Herzog von Orléans; dessen Tochter Marie-Louise von Orléans; seine Gemahlin Henrietta Anne Stuart, Herzogin von Orléans, Prinzessin von England; die Königinmutter Anna von Österreich; im Rahmen die verstorbenen Kinder des Königs; König Louis XIV.; der Dauphin Ludwig von Frankreich; Königin Maria Theresia von Spanien mit ihren jüngeren Kindern Marie Thérèse und Philippe Charles; hinter dem König, dessen Cousine, die „Grande Mademoiselle“ Anne Marie Louise d’Orléans.
Halbszenisch vollführte das Ensemble Lachrymae den Tagesablauf Louis XIV., vom Aufstehritual und das Ankleiden über die Morgenmesse, eine Jagd, einen Staatsempfang und ein Diner – anhand der von französischen Hofkomponisten geschrieben Musiken zu den jeweiligen Anlässen ließ sich das Protokoll wohl insofern einfach zusammenstellen, daß eher die Qual der Wahl bestand als eine mühselige Suche notwendig war. Wesentlich blieb, daß diese Musik auch französisch vorgetragen werden wollte – nicht nur im Wort, sondern auch im Stil.
Doch das Ensemble ist in den wenigen Jahren seiner Projekte offenbar so versiert und erfahren geworden, daß es sich darein findet wie in eine andere »Haut« (oder ein Kostüm). So sorgten reichlich Streicher, zwei Lauten und (mindestens) vier Flöten (!) für einen üppigen, französischen Klang, der noch dazu flexibel war, begleiten konnte, Opern- und Tafelmusik ebenso darzustellen wußte, wie sich für die Andacht in der Messe auch einmal Herr und König verbanden (Pierre Robert: Dominus regnavit).
Neben dem zum Ensemble gehörigen Chor waren mit Caroline Jacob und Johanna Jäger (Sopran), Fridolin Wissemann und Christopher Renz (Tenor) sowie Joan Vincent Hoppe und Valentin Ruckebier (Baß) Solisten beteiligt, die höchst individuell agierten, so daß von Deklamation bis zur hingebungsvollen Darstellung der Rollen Latone, Flora und Apollo alles geboten wurde. Michael-Richard Delalande hatte sich mit »Les Fontaines de Versailles«, einer Art Lustspiel, um eine Stellung bei Hofe beworben (und diese schließlich auch erhalten), und darin nicht nur französischen und italienischen Stil verbunden, sondern Poesie mit Anmut – die Form der Darbietung in den Gärten von Versailles dürfte kaum weniger entscheidend gewesen sein. Und dies, Poesie, Anmut, aber auch Vergnügen, war am Sonntag spürbar, als Delalandes »Fontaines« zu den Hauptattraktionen wurden.
Das Ensemble Lachrymae verband verschiedene Werke zu einem Ganzen, durch Erzählstränge wie mit musikalischen Überleitungen und halbszenischen Darstellungen, etwa des abendlichen Empfangs beim König mit Sekt (oder Champagner). Die Darstellung von Allegorien gehörte deshalb dazu, neben dem Ruhm (in Jean-Baptiste Lullys »Isis«) betraten später die Zwietracht und der Sieg (aus Lullys »Prosperine«) die Theaterbühne – mit Humor und Vergnügen.
Lachrymae hatte noch manche Götter oder Gestirne (Merkur, Ceres, Jupiter) zu bieten. Zwischen vielen Wiederentdeckungen und Valentin Ruckebiers »Rahmen« in unsere Zeit gab es für Feinschmecker noch ein paar kleine Lieblingsstücke von Charpentier oder Lully – die Unterhaltsamkeit, die nicht unwesentlich ins Programm gewoben war, kam keineswegs zu kurz!
Insofern durfte man (wieder) einen Mehrwert über die rein musikalische Darbietung hinaus entdecken und sollte sich vielleicht den Mai des kommenden Jahres vormerken: dann steht an zwei Abenden in der Schaubühle Lindenfels (Leipzig) Henry Purcells »Dido and Aeneas« auf dem Programm von Lachrymae, auch dann wieder in Korrespondenz mit einer Uraufführung.
20. Oktober 2025, Wolfram Quellmalz