Portraitkonzert mit Annesley Black an der Dresdner Musikhochschule
Audiodateien oder Kassettenrekorder sind eigentlich Mittel der Reproduktion. Doch sie können in der Gegenwartsmusik selbst zum Instrument werden, sogar im doppelten Sinn: als bedienbarer Mechanismus, mit dem man etwas bearbeitet und beeinflußt ebenso wie in der eigentlichen Funktion eines Musikinstruments, das als Klanggeber an einer Aufführung mitwirkt. Die entstehende Interaktion ist ein wesentlicher Teil jener Mittel, deren sich die Kanadische Komponistin Annesley Black bedient, jedoch nicht das einzige oder alleinige. Das Einspielen von Klang, das Implementieren und Integrieren, tritt aber immer wieder hervor.
So war es auch am Donnerstag im Konzertsaal der Musikhochschule Dresden zu erleben, wo Annesley Black in einem Portraitkonzert vorgestellt wurde. In den Tagen zuvor waren nicht nur die vier Stücke des Abends erarbeitet worden, die Grazer Professorin hatte mit Studenten außerdem in Workshops und im Einzelunterricht zusammengearbeitet – eine erfreuliche und fruchtbare Arbeit, wie Jörn-Peter Hiekel (Leitung Institut für Neue Musik) in seinem kurzen Gespräch mit ihr feststellte.
Das Integrieren hat bei Annesley Black einen übergreifenden Charakter und umfaßt nicht nur Klangbeispiele, die als Tonspur zugespielt werden. Sie verbindet Reproduktion und Musiker bzw. Stimmen so, daß sie in der Mischung teils schwer (oder nicht mehr) zu unterscheiden sind. Oft sind es Freunde oder Bezugspersonen, deren Stimmen oder Worte zum Bestandteil eines Werkes werden. Teils wirken sie sogar an der Integration mit, wie Ernst Surberg, ein Freund, der als Gast die Turntables bediente.

Schon das erste Beispiel, »Jenny’s last Rock«, führte vor Ohren, daß die Aufnahme bzw. Retroproduktion aber nur ein Teilabschnitt auf dem Weg von der Idee zum Werk ist. Die Anregung war in diesem Fall die Einladung eines Curlingclubs zu einer Veranstaltung. Beim Besuch schnitt Annesley Black Gespräche und das Geräusch gleitender Steine auf dem Eis mit, die als Audiozugabe in das Werk einflossen, die (Re)produktion wurde durch das charakteristische Klacken des Kassettenrekorders selbst Teil des Stücks. Das Gerät, von dem es gar keines mehr an der Musikhochschule gab, hatte der Musikverlag übrigens zur Verfügung gestellt.
Auf Seiten der echten Instrumente (Bläser und Streicher), passierte tonal gar nicht so viel. Kleine Muster, kleine Tonräume ohne große Sprünge oder ausgeprägt dynamische Verläufe, scheinen typisch für Annesley Black. Aber gerade durch diese Konzentration werden einzelne Elemente wahrnehmbar, verketten sich. Manchmal vollzieht sich im »kleinen Raum« eine große Veränderung oder das Stück gerät plötzlich an einen Kipppunkt. Auch ein Wechsel in rhythmischen Strukturen passiert, wie in »Jenny’s last Rock«, das plötzlich jazzige Elemente offenbarte.
In »innermost tidings of the tube« (»Der Röhre innewohnende Neuigkeiten«) für Flöte und Endoskopkamera spielte Lucija Mikuž eine zunächst leise Sequenz, die sich mit kleinen Wandlungen stetig zu wiederholen schien. Die Kamera zeigte dazu das Bild des mal dunklen, dann (bei geöffneten Klappen) vom Licht erhellten Inneren der Flöte. Obwohl diese in verschiedenen Lagen und Flageolett ganz unterschiedliche Ebenen darstellte, wohnte dem Werk doch eine große Ruhe inne.
Eine noch größere Suggestionskraft hatte »a piece that is a size that is recognised as not a size but a piece« (ein Stück, dessen Größe nicht als Größe, sondern als Stück erkannt wird) für Klavier solo (Yeeung Jung). Die gezeigten Bilder mit Eintragungen eines Monatsplaners mögen den Zeitabschnitt der Entstehung wiedergeben (August bis Dezember 2013), auch tauchen darin Namen auf (»evelin zu besuch (abends)«, »Robin Bodo«) – für den Zuhörer unbekannt, aber für die Komponistin vielleicht wichtige Impulsgeber. Die Bilder öffneten zwar eine visuelle Ebene, doch das faszinierende kleine Werk einer sich beständig wiederholenden Spieldosen-Toccata mit Veränderungen drängt auch so erneut den Eindruck auf, hier einen Nukleus zu finden, um den herum das Werk wie ein Organismus wächst.

Die eingebundenen Reproduktionen erinnerten Jörn-Peter Hiekel an die Aufnahmen Béla Bartóks, der einst volkstümliche Musik aufgezeichnet hatte. In »still listening II« (weiterhin zuhören) waren solche volkstümlichen Klänge oder Countrymusik der kanadischen Heimat (?) nicht nur eingebunden, sie wurden Teil einer lebhaften Interaktion. Mit der Komponistin (Stimme und Banjo) und den Turntable-Plattenspielern für den »gescratchten« Sound unter der sorgsamen Leitung von Nicolas Kuhn, der schon das erste Stück dirigiert hatte, entstanden nicht nur mannigfaltige Eindrücke eines Klangerlebnisses, sondern wurden Szenen wie ein Film, der angehalten wird, oder ein rückwärtslaufendes Tonband suggeriert.
14. November 2025, Wolfram Quellmalz
