Lust und Liebe

Das Theater Magdeburg zeigt »Tannhäuser« am Abgrund, retten kann ihn nur eine Heilige

Wer sich so der Lust, der Völlerei hingegeben hat, ist der nicht verloren? Richard Wagners »Tannhäuser« zeigt uns, daß dem nicht so ist. Selbst dem größten Sünder, der sich im Venusberg gesuhlt hat, der seine Freunde illoyal verriet, die geliebte Frau kränkte und bloßstellte, scheint noch der Ausweg möglich. Nach dem letzten, allerletzten und wirklich letzten Fehltritt scheint es immer noch eine Hoffnung auf Rettung zu geben. Eigentlich tröstlich! Gut, das »Hintertürchen« genügt dann nicht mehr. Man muß nach Rom pilgern und beim Papst selbst um Vergebung bitten. Doch wie das Beispiel Tannhäuser zeigt, ist selbst im Fall, daß der Bischof von Rom die Vergebung nicht gewährt, Rettung möglich. Wohl dem, der eine Elisabeth an seiner Seite weiß …

Tannhäuser (James J. Kee, vorn) brüskiert die Gesellschaft beim Sängerwettstreit, hinten von links: Walther von der Vogelweide (Aleksandr Nesterenko Elisabeth), Elisabeth (Aurora Marthens), Heinrich der Schreiber (András Adamik), Gesellschaft (Opernchor und Singakademie), Photo: Theater Magdeburg, © Andreas Lander

Regisseurin Adele Thomas führt Tannhäuser als einen Ritter vor, der von Sinnen ist. Der Venusberg (Bühne und Kostüme: Cécile Trémolières) reizt weniger die Libido oder ist Ausdruck von Sinnlichkeit, sondern ein Ort tierischer Wollust. Da zeigt Venus plötzlich, daß sie nicht ein üppig-verführerisches Weib ist, sondern ein dämonisches, kahlköpfiges mit vielen Brüsten, von Fledermausgetier umgeben. Was fand Tannhäuser bei ihr? Irgendwann ist er der ständigen Übersteigerung des Rausches überdrüssig und will zurück – und seine Sängerfreunde auf Wartburg nehmen ihn auf.

Nur zu bald aber höhnt er sie um ihre poetischen Beschreibungen der Liebe. Tannhäuser zeigt bei Adele Thomas, was ihn im Venusberg geprägt hat, masturbiert im Sängersaal und beginnt, sich zu lecken … Etwas eklig ist das schon – ritterliches Benehmen stellt man sich anders vor! Auch die Pilger machen einen übermäßig geschundenen Eindruck – da bleibt die Hoffnung schon früh stecken!

Tannhäuser (James J. Kee, vorn), Venus (Jadwiga Postrożna) und die Fabelwesen des Venusbergs (Tanzensemble: Laia Vancells Pi , Viktoriia Cherkasova, Lukas Bisculm, Valeria Busdraghi, Viktoriia Cherkasova), Photo: Theater Magdeburg, © Andreas Lander

Und doch geht diese Bloßstellung irgendwie auf. Zum Beispiel, wenn man die Figur des Wolfram von Eschenbach betrachtet. Als vielleicht edelster Freund hat er sich für Tannhäuser eingesetzt, ihn mit dem ausgesprochenen Wort »Elisabeth« mit einem Mal besänftigt. Sein Lied zum Sängerkrieg (»Da blick‘ ich auf zu einem nur der Sterne, der an dem Himmel, der mich blendet, steht: es sammelt sich mein Geist aus jener Ferne, andächtig sinkt die Seele in Gebet.«) ist die keusche Vorahnung der Liebe. Später, als Wolfram in den Abgrund geschaut, das Gefühl der Leidenschaft erfahren hat, bringt er es im Lied an den Abendstern viel sinniger, sinnlicher auf den Punkt. Freilich weiß er dann auch um die Verlorenheit darin (»Wie Todesahnung Dämmrung deckt die Lande, umhüllt das Tal mit schwärzlichem Gewande«).

Tannhäuser (James J. Kee, vorn) am Boden, mit: Heinrich dem Schreiber (András Adamik), Elisabeth (Aurora Marthens), Reinmar von Zweter (David Howes), Biterolf (Giorgi Mtchedlishvili), Ensemble (Opernchor und Singakademie), Photo: Theater Magdeburg, © Andreas Lander

In Magdeburg wird »Tannhäuser« zum Spektakel, das in einem Tänzerquartett, die mal spukhaft als Fledermäuse, dann als Hunde des Landgrafen oder Garbenpuppen die Szene bereichern, nur eine von vielen effektvollen Zugaben bereithält. Tannhäusers Figurenauslegung ist gewollt unschön, James J. Kee, der für die Rolle nach Magdeburg zurückkam, präsentiert ihn kraftvoll, als einen getriebenen Ritter. Ein gestaltungsstarker Höhepunkt ist die Romerzählung, in der die Worte des Papstes nicht erzählt eingeflochten sind, sondern der unbeugsame, verdammende Bischof aus Tannhäuser zu sprechen scheint.

Geschundene Pilger: Wolfram von Eschenbach (Marko Pantelić), Opernchor, Photo: Theater Magdeburg, © Andreas Lander

Neben dem ungewöhnlichen, aber starken Tannhäuser überzeugen vor allem die Damen, denn Anna Malesza-Kutny, die am Sonntag als junger Hirt auftrat, war eine stimmliche, wortverständliche Wohltat, die nicht unterschlagen werden darf! Für das Duo der beiden ambivalenten Heldinnen hat Magdeburg zwei zwar nicht ambivalente, aber absolut eigenständige Stimmen gefunden: Jadwiga Postrożna verkörperte Venus im Ton einer Heroine, bei der Forderung und Verlockung verschmelzen. Elisabeth dagegen kann nicht nur als Ohrenschmaus beschrieben werden. Aurora Marthens hat den himmlischen Ton einer Heiligen getroffen, die noch in der ausweglosesten Situation Heil zu bringen vermag. Dazu spielt sie es, kann mit Mimik Wirkung erzielen, während vor ihr der Sängerkrieg entgleist.

Johannes Stermann erhält für seinen melodischen Baß als Hermann, Landgraf von Thüringen am Ende viel Applaus, wie auch Marko Pantelić, obwohl ihm (oder der Inszenierung) als Wolfram von Eschenbach ein wenig das Heil der Schönheit im Klang fehlt. Mit dabei und bei uns nicht unbekannt: András Adamik, den wir schon oft als Solisten in Konzerten oder Oratorien erlebt haben. Er bereichert als Heinrich der Schreiber das Ensemble.

Tannhäuser (James J. Kee, vorn) wieder auf dem Venusberg, Tanzensemble, Photo: Theater Magdeburg, © Andreas Lander

Musikalisch bietet Dirigent Erik Nielsen dem effektvollen Bühnengeschehen zunächst einen eher (gleich)mäßigen Verlauf. Mit dem Auftauchen Elisabeths jedoch wird es auch im Orchester der Magdeburgischen Philharmonie lebhafter. Gelungen ist die Verschmelzung des Opernchores des Theaters Magdeburg mit der Magdeburger Singakademie, die im Pilgerchor als Trauermarsch, dann kraftvoll vereinigt stimmungsvolle Akzente setzen. Auch dem Orchester entlockt Erik Nielsen nach und nach kräftigere Farben und klarere Soli gerade von Celli, Flöten, Oboen und Englischhorn.

17. November 2025, Wolfram Quellmalz

Richard Wagner »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« (Dresdner Fassung), Theater Magdeburg, wieder im Dezember und Januar.

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