Orgelaerobic

Palastorganistin Anna Lapwood steppte im Dresdner Kulturpalast

Wenn ein Internet-Instagram-TikTok-Star zum Dresdner Orgelzyklus kommt, genügen farbige Leuchten im Konzertsaal des Kulturpalastes nicht mehr. Denn müssen ein paar Extraprojektionen an Wände und Decke und elektronische Armbändchen her, die per Fernsteuerung rosa, blau oder weiß leuchten oder blinken. Doch Anna Lapwood ist nicht nur Palastorganistin in Dresden, sondern offizielle Organistin der Royal Albert Hall London, demnach nicht nur ein Internetphänomen, sondern eine ernstzunehmende Konzertorganistin. Insofern kamen zwei Publikumsströme zusammen, welche die junge Britin erleben wollten. Zwischen das in Massen angezogene Lapwood-Publikum mischten sich die regelmäßigen Besucher der Orgelkonzerte und der Dresdner Philharmonie – zweimal ausverkauftes Haus am Mittwoch und Donnerstag zum Abschluß des British-Festivals der Dresdner Philharmonie im November!

Nun hätte Anna Lapwood einfach ein Musikprogramm nach ihrem Gusto (oder dem ihrer Fans) auflegen können, aber das, selbst die zusätzliche Farbe, genügte nicht. Die Organistin fiel praktisch über den Konzertsaal her, den sie schon im Sprint betrat, um beständig auf und von der Orgelbank zu hüpfen und auf der Bühne zu springen, als sei sie eine Aerobicanimateurin. Selbst ihr kaum zu bremsender, rasend schneller Redequell folgte diesem vereinnahmenden, überwältigenden Feuerwerk. Nur: braucht man so viel Aufregung in einem Konzert? Bei eineinhalb Stunden Dauer betrug die reine Spielzeit ziemlich genau 60 Minuten. Vor allem: Wer konnte der englischen Moderation in der Beschleunigung wirklich folgen?

Orgelshow mit Anna Lapwood im Dresdner Kulturpalast, Photo: Dresdner Philharmonie, © Wunderwaldphoto

Immerhin ein großer Teil des Fanpublikums, der Anna Lapwood jubelnd feierte. Für ihre Kontaktaufnahme und manche Pointe ebenso wie für die Musik, die sie mitgebracht hatte. Sollte es nicht darum gehen? Aber selbst im Vergleich ausschließlich mit den Orgelkonzerten im Kulturpalast ist das Konzept Anna Lapwood vollkommen anders. Natürlich gehörte Musik dazu. Daß die Organistin die Genres mit der Begründung überschreitet, es gehe ihr allein um gute Musik, ist nicht nur verständlich, es vermittelt und macht sie sympathisch. Dabei war noch das reine Programm »original Lapwood«, denn die meisten Stücke hatte sie selbst arrangiert. Sogar »Ave Maria« nach Bach / Gounod, von dem bereits Orgelbearbeitungen existieren. Hier allerdings erwies sich die Registerwahl als nicht so glücklich, verrutschte die Andacht etwas, als sei sie auf einem Synthesizer gespielt. Für Orgelpuristen war vermutlich Eugene Gigouts Toccata h-Moll der Leckerbissen des Abends, der den Klang der Eule-Orgel, auch im Vergleich mit Kirchenorgeln, prächtig herausstrich. Wie die Toccata sukzessive aufgebaut wurde, architektonisch an Monumentalität gewann, konnte beeindrucken, wobei allerdings der Schluß schon wieder ein wenig ordinär betont schien – war da ein Effekt der Filmmusik übergeschwappt?

Die übrigen Titel entstammten meistens der Filmwelt. Hans Zimmer, ohnehin unter den Filmkomponisten einer der differenzierteren, konnte mit Ausschnitten aus »The Da Vinci Code« und »Interstellar« (was dem Konzert den Titel gegeben hatte) seine Stärke sogar gegen John Williams ausspielen, aus dessen »Star wars« Anna Lapwood in Programmitte spontan eine Extraeinlage dazu genommen hatte. Als klassische Beigaben hatte sie zwei der Four sea interludes von Benjamin Britten ausgewählt, die zwar in der Stimmung passend präsentiert waren, es aber an orchestraler Spannung missen ließen.

Virtuosität und Effekt des Spiels standen meist im Sinn der Sache – zuschauen wollte man ja auch. Wobei trotzdem auffiel, daß die gewählten Stücke hinsichtlich Pedalbehandlung nicht so viel verlangten wie erwartet oder an gleicher Stelle erlebt. Daß Anna Lapwood ihr Publikum erreicht, zeigten nicht nur die lautstarken Jubelchöre, sie schaffte es auch, große Teile bei »Fluch der Karibik« (Klaus Badelt) zum Singen zu animieren.

Nach effektvollen 90 Minuten, drei Zugaben und einem verbalen Dauerstakkato incl. viel gepiepsten »Thank you« mußte man erst einmal tief durchatmen. Spät auf dem SWR gab es noch eine Folge »Musikstunde« über Dieterich Buxtehude. Anna Lapwood mit Buxtehude in der Kreuzkirche – wäre so etwas möglich?

28. November 2025, Wolfram Quellmalz

Die Palastorganistin kehrt im Februar für ein Konzert mit der Dresdner Philharmonie (Poulenc: Konzert für Orgel, Streicher und Pauke) zurück in den Kulturpalast.

CD-Tip: Anna Lapwood »Firedove«, mit Werken von Hans Zimmer, Rachel Portman, Olivia Belli, Ivo Antognini, Bob Dylan, Robbie Williams, Ola Gjeilo, Poppy Ackroyd, Louis Vierne, Hania Rani und Maurice Duruflé, weitere Mitwirkende: Jess Gillam, Chapel Choir of Pembroke College Cambridge, erschienen bei Sony, auch als Vinyl Edition

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