Hinreißend eisige Premiere

Semperoper bringt märchenhafte »The Snow Queen« auf die Bühne

Der Ausblick hatte viel versprochen: Hans Christian Andersens Märchen »Die Schneekönigin« ist ein Klassiker, der Film von 1967 ebenso – eine Opernadaption würde also viel Märchenpublikum anziehen. Dazu kam die interessante Begegnung mit einem anderen Werk, den »Märchenbildern« des Komponisten jüngst im Portraitkonzert von Unsuk Chin [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2025/11/10/capell-compositrice-der-sachsischen-staatskapelle-stellte-sich-vor/%5D – die Premiere von »The Snow Queen« am Sonntag in der Dresdner Semperoper war ausverkauft. Im Publikum trotz der Empfehlung »ab 15 Jahren« fast alle Altersklassen.

»The Snow Queen« stellt aber nicht nur durch den englischsprachigen Text und wegen des Mitlesens der Übertexte Mindestanforderungen, es ist zudem auch ein wenig gruselig. Allerdings auf märchenhafte Art. Schließlich macht sich Gerda, die junge Heldin, allein auf den gefährlichen Weg durch eine Eiswelt voller nicht immer zweifelsfreier Geschöpfe, um ihren Kay aus den Fängen der Schneekönigin zu befreien.

Gerda (Louise McClelland Jacobsen) findet Kay (Valerie Eickhoff), die Schneekönigin (Georg Zeppenfeld) zieht sich zurück, Zauberwesen (Tänzer) überall, Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

In der Inszenierung von Immo Karaman gehen Hans Abrahamsens phantastische Musik und die Bilderwelt von Arne Walther (Bühnenbild), Nicola Reichert (Kostüme) und Philipp Contag-Lada (Video) Hand in Hand. Hans Abrahamsen hat die Schneewelt der Eiskristalle atemberaubend in Musikpartikel eingehüllt und nachgezeichnet, formt das Blinken der Schneesterne ebenso um wie Spiegelsplitter musikalisch schneidend scharf werden. Die Kostüme verbinden übergangslos und ohne Übertreibung reale Welt (Kleidung der Menschen) und jene des Märchens (Raben, Rentier, Schneekönigin …). Dabei ist alles beweglich, wandelbar – immer wieder wirbeln Schneeflocken durch den Raum, frieren Wände und Fensterscheiben ein, plötzlich wird ein Auge sichtbar, das ins Zimmer zu spähen scheint. Auf Gerdas Weg beginnen die Räume sich zu verzerren, multiplizieren sich, scheinen endlos in die Weite gedehnt – Arne Walther, ohnehin bekannt für seine großartigen Bühnenbilder, scheint sich noch einmal übertroffen zu haben.

Eiswelt: die Schneekönigin (Georg Zeppenfeld) und Zauberwesen (Tänzer), Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

Das Lob läßt sich musikalisch fortsetzen, denn trotz spitzer und schriller Eispartikel in den Noten ist seine Musik nicht atonal, sondern auf fordernde und anregende Weise dekorativ und atmosphärisch. Darin liegt allerdingst auch ein nicht unwesentlicher Nachteil: was atmosphärisch so überwältigend ist, tritt dramaturgisch manchmal auf der Stelle. Vor allem der zweite Akt hat seine Längen, der Einleitungsmonolog des Rentieres im dritten Akt (der zur Lösung von Gerdas Problem beiträgt, also nicht unwesentlich ist), geriet monoton schleppend und auf einem Ton stehend. Dramaturgisch hat »The Snow Queen« ein paar Schwächen, und selbst Abrahamsen Musik schwebt dann, statt in der Handlung voranzugehen.

Gemütliches Kaffeekränzchen oder trügerische Puppengesellschaft (Tänzer)? Gerda (Louise McClelland Jacobsen), Damen des Sächsischen Staatsopernchores Dresden, Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

Dabei wird das Bild aber um vieles bereichert, wie den Chor (Sächsischer Staatsopernchor: Jonathan Becker) und eine Tänzergruppe (Choreographie: Fabian Posca), die als Raben, Puppen, Zauberwesen herumwirbeln und Gerda helfen oder sie mißtrauisch beäugen – nicht immer ist sicher, wer was ist.

Die Waldkrähe (Simeon Esper) gibt Gerda (Louise McClelland Jacobsen) rätselhafte Hinweise (Waldkrähe), Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

Unter der Leitung von Titus Engel (Hausdebüt) erweckt die Sächsische Staatskapelle eine differenzierte Eiswelt, in der sich viele Klänge darstellen, die teils abgleiten, kippen, überraschen. Dennoch werden ein paar Sonnenstrahlen und Rosenblätter noch in der Musik deutlich.

Noch jemand erzählt Gerda (Louise McClelland Jacobsen) seine Geschichte: Georg Zeppenfeld als Rentier, Tänzer, Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

Die Hauptfiguren sind auf wenige Sänger verteilt, auch deshalb, weil Georg Zeppenfeld als Schneekönigin, Rentier und Uhr sowie Christa Mayer (Großmutter, Alte Frau und Finnenfrau) gleich mehrere spielen. Louise McClelland Jacobsen (Gerda) und Valerie Eickhoff (Kay) sind ein stimmlich individuelles, passendes Kinderpaar (und erinnern in dieser Kombination durchaus an Hänsel und Gretel), die mit klaren Stimmen (und Verständlichkeit), aber auch Gesten überzeugen – beide durchlaufen Wandlungen durch den Eingriff der Schneekönigin (letztlich passiert nichts anderes als eine Entführung), gleichzeitig ist »The Snow Queen« eine Entwicklungsgeschichte. Christa Mayer und Georg Zeppenfeld sind schon wegen der Erkennbarkeit ihrer Stimmen eine Bereicherung, fügen sich aber ins Tableau, wobei gerade im Fall von Georg Zeppenfeld auffällt, wie seine edle Stimme mit dem durchaus eleganten Erscheinungsbild der Schneekönigin zu einer Einheit verschmilzt. Aber auch die weiteren Rollen sind stark besetzt, Simeon Espers Darstellung der Waldkrähe fällt am Premierenabend besonders auf, weitere Rollen haben David DQ Lee (Schloßkrähe), Jasmin Delfs (Prinzessin), Mario Lerchenberger (Prinz) sowie Anna Sax-Palimina und Maria König (Engelsstimmen) übernommen.

Gefunden! Gerda (Louise McClelland Jacobsen) und Kay (Valerie Eickhoff), Tänzer, Photo: Sächsische Staatsoper, © Mark Schulze Steinen

Abgesehen von ein paar kleinen Schwächen ist »The Snow Queen« mit seiner starken Besetzung unbedingt sehens- und hörenswert!

6. Dezember 2025, Wolfram Quellmalz

Hans Abrahamsen »The Snow Queen«, Semperoper Dresden, morgen wieder und am 18. und 22. Dezember sowie am 5. und 8. Januar

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