Eröffnungsabend am Vortag der Schostakowitsch-Tage Gohrisch im Dresdner Kulturpalast
Die Schostakowitsch-Tage Gohrisch gehören zu den erstaunlichsten Musikfesten überhaupt, nicht nur in Deutschland. Denn einen Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts in den Mittelpunkt zu stellen, das gibt es so konsequent nicht einmal beim Aldeburgh Festival und Benjamin Britten. Traditionell eröffnete die Sächsische Staatskapelle die Festtage mit einem Vorkonzert in Dresden am Mittwoch unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada im Kulturpalast.
Zu den Schostakowitsch-Tagen erklingt auch Musik anderer Komponisten – Weggefährten oder Nachschöpfer, die sich auf Schostakowitsch bezogen. Mieczysław Weinberg war zudem ein Freund und Protegé von Schostakowitsch. Seine Werke sind seit Gründung der Schostakowitsch-Tage immer wieder in Gohrisch und Dresden erklungen, diesmal das Trompetenkonzert Opus 94 mit Håkan Hardenberger.

Håkan Hardenberger (Trompete, links) und Dirigent Andrés Orozco-Estrada mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden beim Sonderkonzert der Schostakowitsch-Tage im Dresdner Kulturpalast, Photo: Sächsische Staatskapelle, © Markenfotografie
In manchem sind sich die beiden Komponisten nahe, in der Sprödheit, den Brüchen, den kantigen Gegensätzen oder darin, wie sie den Orchesterklang differenzieren und neu zusammensetzen. Was nicht heißt, der eine habe vom anderen abgeschrieben – die »Hintergründe« beider wahren schließlich ähnlich, streckenweise beiden gemein.
Für Håkan Hardenberger war es sicher kein einfaches Stück, stellt es doch technische Ansprüche, ist virtuos, ohne dem Solisten eine glitzernde Vorführbrillanz zuzugestehen. Dafür sind gerade die dynamischen Anforderungen enorm – was am Anfang »Allegro molto« heißt, klingt nach einem wilden Tanz! Die Sätze zerfallen fast, so viele unterschiedliche Episoden gibt es, bei denen die Trompete mit und ohne Dämpfer gespielt wird, mit Sprüngen, atemlosen Läufen und extremen Tonfolgen – nicht der Spieler, das Instrument scheint hier und da an der Klanggrenze, Kantabilität bleibt untergeordnet, dafür ist ein ins Verschwinden mündende Pianissimo gefragt.
Für diese »Vorführung« erntet der Solist reichlich Applaus und bedankt sich mit einer elegischen Improvisation über Oskar Lindbergs »Gammal fäbodpsalm från Dalarna«.
Dmitri Schostakowitsch gehört für die Sächsische Staatskapelle seit Jahrzehnten zum Repertoire. Andrés Orozco-Estrada konnte sich dieser reichen Erfahrung und einer großen Zuneigung gewiß sein. Schon bei Weinberg hatte er die »differenzierte Zergliederung« mustergültig hervortreten lassen, bei Schostakowitsch um so mehr. Schade nur, daß er so ungebremst und schon mit einem Energieüberschuß noch in den Auftrittsapplaus hinein begann – warum?
Kann man Schostakowitsch denn verstehen und wenn ja: wie? Julian Barnes hat sich ihm mit einem großartigen Roman genähert, gleichzeitig aber wird unser Bild über den Menschen noch mehr gefestigt – zu Recht? Es scheint schwer, Schostakowitsch rein musikalisch zu hören, ja fast unmöglich. Denn er hat wohl manches Erleben und manche »Antwort« auf die Obrigkeit musikalisch in seinen Werken verklausuliert.
Dabei gab es auch so vieles zu entdecken, zum Beispiel die betörende Geschlossenheit, welche die Staatskapelle trotz notierter Zergliederung behielt, die kammermusikalischen Passagen mit einer vorbildlichen Holzbläsergruppe (Flöten!), der angemessene »Schatten«, den die Kontrabässe in einem Motiv spenden. Das fröhliche oder agitative Blendwerk, wenn Blechbläser und Schlagwerk einen Marsch intonierten – Propaganda? Die stärksten, weil spannendsten Momente fand Andrés Orozco-Estrada letztlich, wie schon bei Weinberg, im langsamen Satz.
22. Juni 2023, Wolfram Quellmalz