Musikalische Tränen in der Nacht

Ensemble Lachrymae stellt neues Programm vor

So geht es manchmal – Saisonabschluß, Sommerkonzert, Kreuzchorvesper, dazu ein Kammerkonzert und, und, und … Zerteilen kann man sich bekanntlich nicht, aber dank Deutschlandticket flexibler planen. Und so besuchten wir, weil das Wochenende komplett »belegt« war, das Konzert des Ensemble Lachrymae »um die Ecke« in Leipzig. Denn das neue Programm »Les larmes de la nuit« gab es außer am Sonnabend in Dresden (Dreikönigskirche) und Sonntag in Freiberg (St. Petri) zuerst in der Propsteikirche St. Trinitatis. Der Besuch lohnte nicht zuletzt der modernen Architektur wegen, auch akustisch erwies sich die Kirche für das unten, im Schiff sitzende Publikum, als Gewinn – die Solisten sowie der Chor und die Instrumentalisten von Lachrymae hatten sich oben auf der Orgelempore positioniert. Der musikalische Gewinn durch das Programm stellte sich bald ein.

Ensemble Lachrymae in der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis, Photo: NMB

Wie beim letzten von uns besuchten Konzert (»Wahnsinn«, Theaterruine Dresden: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/04/25/witz-und-wahnsinn/) stand die Barockmusik im Mittelpunkt, diesmal allerdings französische, wie im April jedoch im Kontrast zu zeitgenössischen Werken. Jonas Kraft, der Leiter des Ensembles, hatte sich erneut als Komponist betätigt.

Der Gewinn ergab sich aus der ausgezeichneten, engagierten Wiedergabe und den größtenteils unbekannten Werken. Vielleicht hatte der eine oder andere Besucher bereits eines der Werke Jean-Baptiste Lullys gehört (jedoch ganz gewiß nicht alle drei) – Louis de Mollier und seine »Geschichte der Nacht« (Recit de la nuit) dürfte für die meisten eine Neuentdeckung gewesen sein. Schon hier wog der Betörungsfaktor schwer – Altistin Anna Schuch war eine sanfte Erzählerin, das gemischte Instrumentalensemble (Bläser, Streicher mit Violinen und zwei Gamben) wußte einen vortrefflichen Consort-Charakter zu erzeugen.

Wirklich lebhaft, luftig und tänzerisch waren die Erzählungen Jean-Baptiste Lullys, egal, ob es sich dabei um »Tränen« des Dichters Pierre Perrin handelte (»O Lachrymae«) oder die Totentanzsequenz zu Dies irae. (Dresdner Besucher durften dabei den beeindruckenden Totentanzfries aus Sandstein betrachten, welches Christoph Walther im 16. Jahrhundert geschaffen hatte. Es ziert heute – wieder – den Innenraum der Dreikönigskirche.)

Die individuellen Stimmen von Caroline Jacob und Clarissa Renner (Sopran), Fridolin Wissemann (Tenor), Vincent Berger (Baß) und vor allem dem sehr emotional gestaltenden Pedro Matos in typisch französischer Stimmlage Haute-contre (hoher Tenor) trugen wesentlich zum positiven Eindruck bei.

Interessant und gelungen war die Gegenüberstellung der überlieferten Passacaglia d’Armide von Lully, die Olav Kröger mit neuen Versvertonungen zu einer Symbiose & Paraphrase ergänzt hatte. Die Passacaglia schloß die zeitgenössischen Strophen dabei ein. Etwas gewagter fiel der Ansatz von Jonas Kraft aus, und dies nicht etwa, weil seine Komposition über Rainer Maria Rilkes »Traumgekrönt – Lieben II« nicht gelungen wäre. Vielmehr ist es schwierig, solche Zeilen »gerecht« (oder »korrekt«) in Noten zu setzen. Schließlich handelt es sich um geschriebene Worte, die nicht unbedingt geeignet sind, laut ausgesprochen zu werden (selbst wenn sie im Text als Rede angegeben sind). Insofern verloren Rilkes Verse von ihrer Intimität, wiewohl die Komposition gefiel und auch nachvollziehbar war. Jedoch in manchem zu stark, etwa die erwidernde Oboenlinie am Ende der ersten Strophe (zur Zeile »tief in der Nacht«). Ähnlich verhält es sich mit Liedbearbeitungen wie jenen Franz Schuberts, bei denen die Begleitung vom Klavier auf ein Kammerensemble übertragen wird – schnell ist es »zu viel«.

Abgesehen von solchen eher den Stil oder Geschmack berührenden Punkten gab es musikalisch nichts auszusetzen – die Reise hatte in jedem Fall gelohnt! Und wer mag, findet eine Aufnahme des Projektes aus der Anfangszeit (2021) auf der Seite des Ensembles (unter Medien / Videos).

3. Juli 2023, Wolfram Quellmalz

Im November wird es wieder Gelegenheit geben, Lachrymae zu erleben, diesmal in Leipzig und Berlin. Mehr dazu unter:

https://www.ensemble-lachrymae.de/

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