Witz und Wahnsinn

Ensemble Lachrymae in der Dresdner Theaterruine

Am Sonntag war das 2021 gegründete Ensemble Lachrymae erstmals in Dresden zu Gast und präsentierte in der St.-Pauli-Theaterruine sein Programm »Wahnsinn«. Tags zuvor spielten die jungen Musiker in der Schaubühne Lindenfels (Leipzig) in einem ausverkauften Haus – das dürfte in Dresden und anderswo bald ähnlich sein. Denn das Programm von Lachrymae ist nicht nur witzig und ambitioniert, sondern zudem in einer Weise fundiert, wie man es von Studenten (oder Absolventen) nicht zwangsläufig in dieser Tiefe erwarten kann.

»Wahnsinn« führte in die (Un)tiefen der Liebe, enthielt aber auch einen Hexensabbat. Dieses wie jenes war dabei im theatralen Sinn zu verstehen. Denn zwar wurden musikalische Nummern aus Werken präsentiert, aber auf den Gesang oder die Instrumentalmusik allein beschränkte sich Lachrymae nicht – es wurde außerdem gespielt und mit viel Effekt inszeniert. Licht, Farbe, falsches Blut und Kostüme gehörten unbedingt dazu!

Hexenszene, Photo: NMB

Der »verrückte« Abend begann mit einer musikalischen Verrücktheit: das berühmte La-Folia-Thema wurde als Einzug des Ensembles in der (vielleicht) ältesten bekannten Fassung von Jean-Baptiste Lully (»Les folies d’espagne«) gespielt. Überhaupt steht die französische Barockmusik ein wenig im Mittelpunkt bei Lachrymae, sorgt damit aber gar nicht unbedingt vordergründig für Abkehr oder Abwechslung, sondern vor allem für eine Ergänzung (des gebotenen Barock-Repertoires) – in der italienisch geprägten Hofkapelle der sächsischen Residenzstadt gab es schließlich ebenso französische Barockmusik (und französische Musiker).

Wirklichen Furor richtete Lachrymae (Leitung: Jonas Kraft) immer dann an (aber nicht nur), wenn Sänger auftraten. Denn mit Lidor Ram Mesika (Altus), Michèle Bréant und Yumi Tatsumiya (Sopran), Johannes King und Fridolin Wissemann (Tenor) sowie Vincent Hoppe (Baß) gab es nicht nur leidenschaftliche Sänger – sie entwickelten zudem eine höchst individuelle Präsenz und verbanden den Gesang mit der Belebung des Spiels – ohne dabei die Musik zu »verbiegen«. Claudio Monteverdis Madrigal »Lamento della ninfa« war daher a cappella schlicht und berührend schön!

Und es konnte noch ohne Gesang Funkeln und Donnern – Jean-Féry Rebels »Le chaos« aus dem Ballett / Sinfonie »Les elements« war (fast) ein instrumentales Erdbeben! Der Chor bzw. das Vocalensemble wiederum ergänzte die Solisten in den Szenen nicht nur, sondern wirkte – gesungen und gespielt – selbst ebenso individuell mit. Die Regie und Choreographie von Lachrymae ist großartig!

Prüfung (nicht) »auf Herz und Nieren«: der mißratene Kranke wird wegen anhaltender Behandlungsresistenz als Arzt in die Akademie aufgenommen. Photo: NMB

Höhepunkte waren daher Szenen wie Jean-Philipp Rameaus Scène de la Folie (aus »Platée«) oder Henry Purcells Hexenscene (aus »Dido und Aeneas«). Geistreicher Witz (keine Kalauer) sorgte dabei nicht zuletzt für reichlich Spaß. Wie beim Finale: In Marc-Antoine Charpentiers »Cérémonie des médecins« (aus »Le malade imaginaire«) wurde die ursprüngliche Szene (eigentlich eine Ballettkomödie, bei uns wird meist die Komödie nach Molière aufgeführt) mit einem neuen, herrlich pseudo-lateinischen Text gespielt.

Also: bitte die nächsten Termine vormerken (Dresden: 1. Juli)!

24. April 2023, Wolfram Quellmalz

https://ensemble-lachrymae.de

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