Spiel mit der Vergangenheit

Sächsische Staatskapelle macht mit Olga Neuwirth und Gustav Mahler ganz unterschiedliche Funde

Mit dem letzten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle in dieser Saison endete auch die Residenz von Capell-Compositrice Olga Neuwirth. Diesmal stand das vielleicht größte Werk ihrer Amtszeit auf dem Programm, das beinahe halbstündige »Masaot / Clocks without Hands« (etwa »Reise / Uhrwerk ohne Zeiger«). Die Bilanz bleibt dennoch zwiespältig bis dürftig. Immerhin war die Komponistin diesmal anwesend – zum ihr gewidmeten Portrait hatte man sie noch vermißt. Wie schon im ersten von der Kapelle im Dezember gespielten »Dreydl« und vielen der in Hellerau präsentierten Werke überwogen am Sonntagmorgen in der Semperoper kammermusikalische Eindrücke und eingeschobene Versatzstücke. Von volkstümlicher Balkanmusik bis zum »Bienenschwarmtremolo« der Streicher gab es Klanganregungen, vor allem beherrscht Olga Neuwirth das Spiel mit solchen Sequenzen, die Traumbild oder verzerrte Erinnerung sein können – teils gehen sie nicht unterscheidbar ineinander über. Das schließt ganz überraschende und fremde Klänge ein, wie ein metallisches Orchesterschimmern zu Beginn, das ohne präparierte Instrumente erzeugt wurde, schleichende Wellenbewegungen der Streicher nahmen Bezug zur im Titel verankerten »Zeit« und schienen geheimnisvoller als der schlagende Takt des Metronoms. Das war experimentell interessant und im kammermusikalischen Sinn oft anregend, jedoch: wo war der große sinfonische Bezug, die mitreißende Woge, und vor allem: wo waren die dezidierte Verbindung zwischen Capell-Compositrice und Kapelle oder die tragende eigene Idee, die über die Verarbeitung einer Erinnerung hinausgeht?

Ein Lächeln zum Schluß: Daniel Harding im letzten Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle der Spielzeit, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Daß Gustav Mahler der ursprüngliche Anlaß für »Masaot« war (Auftrag der Wiener Philharmoniker) ist ein eher schwaches Bindeglied. Zudem übersieht es leicht andere Anklänge zu Igor Strawinsky oder Liedern über Mahler hinaus – selbst »Hänschen klein« schien eingewoben. Bleibt abzuwarten, ob es in der kommenden Spielzeit stärkere Bezüge gibt. Immerhin stehen dann zwei Uraufführungen von Georg Friedrich Haas auf dem Programm, von Olga Neuwirth hatte es nichts Neues gegeben.

Gustav Mahlers Zyklus »Lied von der Erde« erfaßte das Publikum nach der Pause viel unmittelbarer. Daniel Harding fand darin sagen-, ja märchenhafte Konturen. Das lohnte schon deshalb, weil Texte und Musik zwischen Trunkenheit und Tod weit differenzieren, einen Hauch Wagner-Verklärung inclusive. Das mit einem Nebel in den Violinen beginnende »Der einsame im Herbst« sorgte schon für Gänsehaut, bevor Dame Sarah Connolly mit ihrem Text begann. Mit den geschlossen wirkenden Bläsergruppen formte Daniel Harding weiche und ausdrucksstarke Übergänge, konnte sich aber auf kantabel hervorleuchtende Soli oder deren schärfende Wirkung verlassen, allen voran Flötistin Sabine Kittel, die als dritte Singstimme zum sagenhaften Charakter beitrug.

Während Sarah Connolly (Mezzosopran) oft zugegebenermaßen einfühlsamere, ruhigere Passagen hatte, war es für Tenor Andrew Staples gerade anfangs schwierig, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. Nach und nach gewann er aber auch in den nicht forcierten Passagen und unterstrich das ambivalente »Charakterbild« desjenigen, der schon zu Beginn der Realität floh und im Frühling (erneut) trunken ist. Nach seinem letzten und vor dem abschließenden Lied ging er von der Bühne – dramaturgisch passend für einen, der sich entzieht. Er hörte nicht mehr, was Sarah Connolly von der Hoffnung sang, wiewohl sie dem »Abschied« jene Bodenlosigkeit gab, die noch tiefer ist als Mahlers Satzbezeichnung »schwer«. Deutlich besser in der Verständlichkeit bot sie herbe Farben, nur der Traumeinschub »Der Bach singt voller Wohllaut durch das Dunkel« schien ein wenig hart – so hoffnungslos ist das ganze »Lied« doch nicht.

9. Juli 2023, Wolfram Quellmalz

Die Sächsische Staatskapelle verabschiedet sich mit einem Aufführungsabend am 14. Juli in die Sommerpause. Dann gibt es neben Johannes Brahms‘ zweiter Serenade und Aaron Copland modernem Klassiker »Appalachian Spring« mit Giovanni Bottesinis zweitem Kontrabaßkonzert etwas für Feinschmecker.

Freitag, 14. Juli, 20:00 Uhr, Semperoper Dresden, Kontrabaß: Andreas Ehelebe, Dirigent: Roderick Cox

http://www.staatskapelle-dresden.de

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