Halbzeit beim Orgelsommer der Dresdner Kreuzkirche
Unmittelbar vor der Monatswende ist schon die Halbzeit der Ferien erreicht – auch der Orgelsommer ist gestern bereits beim mittleren Konzert angekommen. Zu Gast war KMD Melanie Jäger-Waldau, Münsterkantorin am Überlinger Münster. Ihr Programm nahm vor allem romantische Werke vom Fin de Siècle bis zu spätromantische Ausläufern in den Fokus und präsentierte in der an sich knappen Form (die Konzerte des Orgelsommers sind nur etwa 45 Minuten lang bzw. kurz) eine große Bandbreite orgelsinfonischen Schaffens. In kompakter Folge gab Melanie Jäger-Waldau dem Jubilar Max Reger ein Podium, wie sie dem Publikum wenig oder (sozusagen) unerhörte Stücke bot.
Doch ob neu oder altbekannt – die Werke kitzelten nicht nur die Neugier, sie ließen sich beim Hören zudem erschließen. Vielleicht, weil manche einen liturgischen Text oder eine vergleichbare Funktion zugrunde liegen hatten? Max Regers Te Deum Opus 59 war dafür ein schönes Beispiel, das die Jehmlich-Orgel zunächst sehr gesanglich als Chor, dann als Solist, und schließlich mit großer Strahlkraft präsentierte.

Franz Nölken (1884 bis 1918) »Max Reger bei der Arbeit« (1913), Henri Constant: Portrait von Gabriel Pierné, Bildquelle: Wikimedia commons
Gleich mehrfach offenbarte die Stückfolge ganz unterschiedliche Charaktere oder Farbgebungen. Gabriel Piernés Cantilene wie auch das später folgende Prélude, beides aus den Trois Pièces Opus 29, beeindruckten mit einer klaren, sinnlichen Gesanglinie über einem geschmeidigen Baß, der fein strukturiert und in Wellenmotiven deutlich mehr bot als nur ein impressionistisches Flimmern.

Zeitgenössische Photographien von Joseph Jongen und Charles Tournemire, Bildquelle: Wikimedia commons
Zwischen die beiden Pièces hatte Melanie Jäger-Waldau Allegro und Andante aus der Symphonie Nr. 1 (Opus 20) von Lazare Auguste Maquaire gebettet. Die wohl größte »Unerhörtheit« – das farbenkräftige Werk dürfte für viele ein Novum gewesen sein, forscht man über den Komponisten nach oder sucht seine Werke auf CD, ist das Resultat der Recherche äußerst dürftig. Immerhin: die Noten sind im Musikverlag B-Note erhältlich. Wer kann (und mag), darf sich also selbst befleißigen.
Mit Joseph Jongens Prière und einem weiteren Te Deum, diesmal von Charles Tournemire, gab es abschließend zwei bei Orgelfreunden hochgeschätzte Komponisten zu hören. Schimmernd und innig blieb Jongens Gebet nah am Duktus einer Singstimme, während Tournemires Te Deum zwar eine notierte Improvisation sein mag (keine freie), mit feurigem Beginn und flexiblen Variationen und Modulationen des Motivs aber den improvisatorischen Charakter vollkommen wahrte.
Für Ihre Zugabe wählte Melanie Jäger-Waldau das Choralvorspiel »Meinem Jesum laß ich nicht« (Opus 67 Nr. 26) von Max Reger.
30. Juli 2023, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend ist ein weiterer Münsterorganist, Johannes Wieland (Ulm) zu Gast beim Orgelsommer.