Moritzburg Festival mit einem der wohl schönsten Konzertabende
Das Mittwochs-Konzert beim Moritzburg Festival (MBF) hielt (fast) alle Komponenten bereit, die das Herz des Kammermusikfreundes nur wünschen kann. Von der Werkauswahl bis zur Zusammensetzung der Spieler blieben da kaum Wünsche offen, höchstens mag man lohnende zeitgenössische »Ausflüge« vermissen.
Werke von Luigi Boccherini gehören immer wieder zum MBF. Außer seinem berühmten Menuett (das im Rahmen des Proschwitzer Picknicks erklungen war) liegen vor allem seine Streichquintette mit zwei Celli oder mit Gitarre, zuweilen sogar plus Kastagnetten weit vorn (alles schon beim MBF erlebt). Nebenbei – der Mann hat darüber hinaus reizvolle Sinfonien geschrieben, die sich für das Orchester der Akademie eignen. Am Mittwochabend kamen Mira Wang und Chad Hoopes (Violinen), Paul Neubauer (Viola) sowie Zlatomir Fung und Andrei Ioniță (Violoncello) mit dem Quintett C-Dur (Opus 30, Nr. 6), genannt »La Musica Notturna delle strade di Madrid« (Nachtmusik auf den Straßen von Madrid) spielend auf die Schloßterrasse, später verließen sie sie in gleicher Weise. In dieser Nachtmusik fing Boccherini das Leben auf den Straßen seiner Wahlheimat musikalisch ein, incl. einer vorbeiziehenden Nachtwache. Im Konzert hörte man nicht nur diese, sondern manches Liebesflüstern (oder Ehestreit), der durch offene Fenster nach draußen gedrungen und vom Komponisten in Noten gesetzt worden war. Mit musikantischem Vergnügen präsentierten die fünf Musiker das ergötzliche Stück, wofür Viola und Violoncelli, die mit ihren Pizzicati Gitarren imitierten, von den Spielern auch wie eine solche gehalten wurden. Wenn in diesem Jahr ein Stück besonders nach draußen auf die Terrasse gepaßt hat, dann dieses!

Eine ganz andere »Nachtwache«: die im Bett »Lesende Frau« von Jean-Honoré Fragonard, National Gallery of Art, Washington DC, Bildquelle: Wikimedia commons
Mit Anton Arenskis Klaviertrio Nr. 1 vollführten Illia Ovcharenko (Klavier), Paul Huang (Violine) und Andrei Ioniță (Violoncello) nicht nur einen Genrewechsel, sie hoben auch (wieder) eine dieser selten gehörten Pretiosen auf die Bühne. »Brahminski« könnte man es vielleicht nennen, denn der Beginn erinnerte an eine Sonate von Johannes Brahms, am Ende des vierten Satzes schloß Anton Arenski den Kreis und kam thematisch zum Ausgangspunkt zurück. Dazwischen belebten ein luftiges Scherzo und eine schlummerige Elegie das Stück. Doch wirklich schmuck wurde das Werk durch die luftige Präsentation. Denn der tief romantische Gestus wurde nicht rührselig oder triefend präsentiert, sondern blieb mit wenig Pedal (bzw. Una corda) und dosiertem Vibrato äußerst fein. Die Flageolett-Spitzen im Scherzo ähnelten Vogelrufen, das ganze Werk geriet unverhofft delikat!
Dabei blieb es nach der Pause. Johannes Brahms hat in seinen Klavierquartetten durchaus Temperament bewiesen und für Effekt gesorgt, man denke nur an das alla Zingarese aus Opus 25. In seinem dritten Klavierquartett (Opus 60) jedoch zeigte er sich emotional viel subtiler, auch durchdachter, andeutungsreicher. Eine herrliche Gelegenheit für (Fehl)deutungen! Markieren die Akkorde des Klaviers im letzten Satz etwa Hochzeitsglocken? Mit Antti Siirala (Klavier), Stella Chen (Violine), Zlatomir Fung (Violoncello) und Matthew Lipman, der die Viola erneut an der Außenposition rechts spielte, geriet das Quintett nicht zuletzt in den Stimmen ausgewogen. Von einer Dominanz des Klaviers keine Spur! Statt dessen gab die sonore Viola von Matthew Lipman oft Einsatz und Klangfarbe vor oder verband sich mit der Violine im Einklang. Und wer bei Arenski an Brahms gedacht hatte, durfte bei Brahms Schubert’sche Tiefen entdecken. Unterhaltsam und spielerisch auf Höchstniveau – diesem Mittwoch gebührt vielleicht der Spitzenplatz des aktuellen MBF-Jahrgangs!
16. August 2023, Wolfram Quellmalz
Das Moritzburg Festival erwartet seine Gäste im kommenden Jahr zwischen 2. und 18. August. Die Zeit bis dahin wird im Winter wieder durch die Reihe der »Meisterkonzerte« auf Schloß Albrechtsberg verkürzt. Näheres demnächst hier: