Irina Kalinovskaja beim 103. Freitagskonzert in der Rochlitzer Kunigundenkirche
Für eine Woche und vier Konzerte war die mit dem Titel »Nationale Künstlerin der Ukraine« geehrte Irina Kalinovskaja nach Deutschland gekommen. Nach Gransee im Havelland, der Dresdner Frauenkirche und der Ladegast-Orgel im nicht weit entfernten Polditz spielte sie am vergangenen Freitag an der Schmeisser-Orgel der Rochlitzer Kunigundenkirche. Es war das mittlerweile 103. Freitagskonzert der Reihe, die bis über die Wendezeit zurückreicht.
Auf dem Programm standen neben Johann Sebastian Bach und Jubilar Max Reger Werke von Charles-Marie Widor sowie ukrainischer Komponisten. Die Gestaltungskraft der Künstlerin beeindruckte schon in Bachs Präludium und Fuge c-Moll (BWV 546), wobei das Präludium großzügiger und freier schien, während bei der Fuge – sozusagen naturgemäß – die erbauliche und kunstvolle Architektur im Vordergrund stand.
Eindrucksvoll war die Gegenüberstellung des Allegro cantabile – Toccata aus der Orgelsinfonie Nr. 5 von Charles Marie Widor sowie Max Regers Introduction und Passacaglia in d-Moll. Schon wenn man die äußeren Fakten betrachtet, erstaunen die Daten: Widor, lange vor Reger geboren, hat diesen dennoch weit überlebt. Und auch die Werke – im Aufbau formal scheinbar ähnlich – liegen zwanzig Jahre auseinander. Das allein erklärt dennoch nicht, wie modern Reger nicht nur im Vergleich klingt. Irina Kalinovskaja stellte ihn geradezu expressiv heraus und ließ das Thema metaphorisch wachsen. Der zuvor gespielte Widor (dankenswerterweise nicht nur die beliebte Toccata, sondern das Cantabile als Ein- und Überleitung davor) war noch romantisch geprägt, schien mit weichen Konturen Mondschimmer und einen Wasserspiegel zu zeichnen (man dachte unwillkürlich an Edvard Munchs »Mondschein«).
Dmitri Bortnjanskis Konzert in D-Dur hatte die Organistin nach Bach mit einem fröhlichen, ein wenig circensischen Stück die Atmosphäre gelockert. Immerhin lohnte nicht zuletzt die biographische Fußnote, daß der Komponist einst Schüler des Venezianers Baldassare Galuppi (1706 bis 1785) gewesen ist, den wiederzuentdecken hier empfohlen werden soll. Einerseits wegen seiner Opern, aber auch wegen seiner Klaviersonaten, welche den Weg zu Beethoven zu ebnen scheinen.

Irina Kalinovskaja in der Rochlitzer Kunigundenkirche, Photo: NMB
Viel mehr als eine Fußnote waren »Ewige Stadt Jerusalem«, »Gebet« sowie »Gericht – Kreuzigung« aus der »Geistliche Musik« von Wiatscheslaw Nasarow. Während der Komponist zunächst ein Bild Jerusalems zeichnet, das orientalische Harmonie und Chromatik einschließt, im zweiten Teil ein flehendes Gebet schildert, wächst im letzten der Konflikt, scheint zu rennen (fliehen zu wollen) und erstirbt dramatisch, indem am Schluß der »Kreuzigung« noch der Orgel der Atem ausgeht, weil ihr laut Spielanweisung das Gebläse im letzten Akkord ausgeschaltet wird – beeindruckend!
Noch in der Zugabe versteckte sich ein Fund, ein die Länder verbindender Gruß: eine Arie aus »Chapel in the Valley« von William Southcombe Lloyd Webber (Vater von Andrew Lloyd Webber).
26. August 2023, Wolfram Quellmalz
Nächstes Konzert in der Kunigundenkirche Rochlitz: Sonnabend, 2. September, 16:00 Uhr, Chormusik von Bach, Monteverdi, Byrd und Brahms mit dem Vocalensemble Chemnitz
https://www.kirche-rochlitz-wechselburg.de
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