Junges Musikpodium Dresden-Venice ist wieder unterwegs
Was haben Griechischer Wein, Abba oder Schostakowitsch mit Barockmusik zu tun? Zunächst einmal nichts. Andererseits lehrt ja die Erfahrung, daß alles mit allem und jeder mit jedem verbunden ist. Wie also hier?
Wenn das Junges Musikpodium Dresden-Venice (JMP) unterwegs ist, gibt es nach den Proben am Tag und den Konzerten am Abend mit Vivaldi, Telemann, Veracini, Heinichen und Corelli auf der Rückfahrt vor allem hinten im Bus noch Gesangseinlagen, wenn spontane Vocalensemble um den polyglotten Bratschisten Andrea Fazio entstehen. Wieder einmal zeigt sich: die Viola, mitten im Orchester sitzend, hat den besten Überblick, den besten Kontakt zu allen, ist oft Verbindungs- und Ausgangspunkt. Im Falle des gebürtigen Sizilianers trifft das zweifelsfrei zu, denn er spielt nicht nur im Orchester des JMP mit, sondern stimmt auch die Gesänge an. »Griechischer Wein« war an den ersten beiden Abenden der starter, danach folgte eine bunte Mischung mit einem kurzen Abba-Block am Mittwoch, die zwangsläufig in jedem Fall auf italienische Klassiker hinausläuft. Schlager wohlgemerkt. Oder – wenn Maestro Ivano Zanenghi fälschlicherweise einen Geburtstag bekanntgibt, auf »Tanti Auguri a Te!« – im großen Chor wohlgemerkt!

Konzertplakat in Sacile. Der Palazzo Ragazzoni war der zweite Auftrittsort des JMP. Rechts: Ivano Zananghi hat sich für seine Noten einen schicken rosa Beutel geborgt – steht ihm doch, oder? Photos: NMB
Gute Stimmung also beim JMP, und dazu bestehen alle guten Gründe. Nach pandemiebedingten Absagen, Verschiebungen und in der Besetzung kleineren Formaten sind in diesem Jahr wieder alle beisammen. Seit Montag wird in Asolo geprobt, noch bis Sonnabend gibt es Konzerte im Veneto, in der kommenden Woche drei Gastspiele in Deutschland. Die vier Maestri (Massimo Raccanelli / Dirigent, Allessandro Cappolletto / Konzertmeister, Ivano Zananghi / Laute und Alberto Busettini / Cembalo) sind höchst zufrieden mit dem Zustand des Ensembles. Die Auftritte verblüffen, schließlich handelt es sich nicht um ein permanentes Orchester oder ein Jugendprojekt, das sich regelmäßig trifft, sondern eines, das biennal in jeweils neuer Besetzung zusammenkommt. Die Teilnehmer sind Schülerinnen und Schüler des Sächsischen Landesgymnasiums für Musik, des Conservatoire de Strasbourg, aus Italien kommen zwei Gruppen: vom Conservatorio Agostino Steffani Castelfranco sowie vom Conservatorio di Musica Antonio Buzzolla in Adria. Schon bei der Probenarbeit fällt auf: bereits am dritten Tag ist das Orchester lockerer, was hier nicht leichtfertig oder nachlässig bedeutet, sondern frei und offen – gut für Spontanität und Frische. Massimo Raccanelli kann sich noch mehr auf Details konzentrieren, und seien es drei zusammenhängende Töne, welche anders phrasiert werden können, die Akzente schaffen. Genau solche Feinheiten beleben das Konzert und sorgen für Begeisterung.
Nach dem Konzert gibt es in der Regel einen kleinen Empfang, meist in der Pizzeria um die Ecke – Zwischenfrage: Warum sind Pizzerien um die Ecke oder der schlichte Cappuccino in Italien so vollkommen anders als in Deutschland? Richtige Pizza »zieht« jedenfalls immer, da muß man nicht agitieren, weder auf deutsch noch auf italienisch, französisch oder englisch. Oder wie die Maestri sagen: »Geh ma« (statt avanti) – Massimo Raccanelli hat prägende Jahre in München verbracht.

Besuch in der Pizzeria in Sacile nach dem Konzert. Mittendrin Bratschist Andrea Fazio (weiße Mütze) als intrattenitore (Animateur), Photo: NMB
Vertiefte Arbeit also mit Barockmusik am Tage, Entspannung abends. Und mittendrin die eine oder andere Überraschung. Musikalische, wenn man mittags in der Villa Flangini plötzlich ein Schostakowitsch-Quartett oder eine Passacaglia von Johan Halvorsen hört (letzteres allerdings ist die Bearbeitung eines Satzes aus Georg Friedrich Händels Cembalo-Suite g-Moll, HWV 432, also quasi doch fast Barock). Denn nicht nur gilt »nach dem Konzert ist vor dem Konzert«, oft gibt es geplante oder spontane Extraeinlagen für Sponsoren oder als Straßenmusik. Nicht die einzige Überraschung …
15. September 2023, Wolfram Quellmalz