Telemanns phantastisches Theater

Kreuzvesper zum Michaelisfest

Was feiern wir gerade? Erntedank oder Michaelisfest? Das erstere scheint vielleicht »näher«, konkreter, jedoch ist letzteres fester im Kirchenkalender verankert. Michaelistag (29. September), Martinstag (11. November) und Nikolaustag (6. Dezember) bilden eine dreifache Einheit, die bereits auf das Weihnachtsfest vorbereitet. Zur gestrigen Vesper in der Dresdner Kreuzkirche wurde es vor allem mit Georg Philipp Telemanns Kantate zum Michaelisfest »Welch Getümmel erschüttert den Himmel« (TWV 1: 1546), deren Festglanz sich unter anderem mit Pauken und Trompeten ausbreitet, denn auch fast schon ein wenig (vor)weihnachtlich.

Mit bedächtiger Festlichkeit (und einem sich zum Guten oder zur Erlösung wendenden Schluß) hatte Kreuzorganist Holger Gehring bereits den Einzug mit Johann Sebastian Bachs Praeludium e-Moll (aus BWV 548) begleitet, später ließ er dem Gemeindegesang (aus EG 143 »Heut singt die liebe Christenheit«) die Choralbearbeitung »Meine Seele erhebt den Herren« (BWV 648) nachklingen, dem ebenso eine Bedachtsamkeit und Beruhigung innewohnte.

Guido Reni »Der Erzengel Michael besiegt den Satan«, Santa Maria della Concezione, Rom, Bildquelle: Wikimedia commons

Nicht, daß sich jemand »aufgeregt« hätte, dennoch war der kontemplative Ausgleich wohlgesetzt zwischen die in zwei Teilen aufgeführte Kantate zum Michaelisfest. Denn darin geht es um nichts weniger als um Versuchung, Sünder und »freche Toren«, was – von der Capella Sanctae Crucis Dresden bildkräftig ausgemalt – schon instrumental reich dargestellt wurde. Nicht nur das im Text verankerte »Lärmen« und »Toben« erscholl hier eindrucksvoll in Streichern und Trompeten, vor allem Baß Clemens Heidrich – ohnehin mit einer stimmlichen Präsenz gesegnet – wuchs darstellerisch über sich hinaus und band die ersten Teile der Kantate dramaturgisch eng zusammen, stimmte in seiner Arie das »Geheul« und »Geschrei« lustvoll an, um im folgenden Accompagnato, welches mit »Lärmen« und »Toben« (im besten musikalischen Sinn) beginnt, Tenor Samir Bouadjadja anzustacheln, ihm darstellerisch zu folgen und »wilde Feuer«, »Schwefeldampf« und »Abgrund« um kein Jota weniger beeindruckend auszumalen – der Choral in der Mitte der Kantate wußte die Gemüter zunächst zu beruhigen. Im später (nach zweiter Lesung und Gebet) angeschlossenen zweiten Teil wendete sich denn alles zum besten, im Quartett mit Heidi Maria Taubert (Sopran) und Elisabeth Holmer (Alt) ward der Friede wiederhergestellt – puh! Diese Kantate wurde nicht »gespielt«, sie wurde wirklich aufgeführt! (Wahrlich, da sage einer, nur Bach hätte sich auf affektive Ausgestaltung von Worten verstanden.)

Pfarrer Holger Milkau hatte das Michaelisfest mit Lesungen (Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus. Ismael und seine Mutter werden vertrieben / 1. Mose 21, 8-21, aus der Offenbarung des Johannes / Offenbarung 12, 7-12 sowie der Rückkehr der Zweiundsiebzig / Lukas 10, 17-20) in Worte gefaßt.

Bereits am Beginn der Vesper hatte Telemanns Solokantate für Baß »Jauchzet dem Herrn, alle Welt« (TWV 7:22) den Magdeburger Komponisten in den Mittelpunkt gerückt und mit Barocktrompeten (Francesco Bellotto, Toni Fehse und Sebastian Böhner) den Festglanz angestimmt. Die Holzbläser sorgten für instrumentale Kantabilität (Luise Haugk und Tereza Samsonova / Barockoboen) im Ensemble der Capella Sanctae Crucis Dresden um Holger Gehring (Continuo-Orgel) und Adela Drechsel (1. Violine).

Nicht nur ein kontemplativer, sondern fokussierender Höhepunkt war, von den beruhigenden Stimmen der Traversflöten (Friederike Schmidt und Angelika Fritzsching) begleitet, die Arie »Wohl euch, ihr auserwählten Seelen«, aus Johann Sebastian Bachs Kantate »Oh ewiges Feuer, oh Ursprung der Liebe« (BWV 34) mit Elisabeth Holmer.

1. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

In der nächsten Kreuzvesper, die bereits zum Heinrich Schütz Musikfest zählt, singt der Chor derHochschule für Kirchenmusik Dresden Werke von William Byrd, Heinrich Schütz, Max Reger, Paul Eberhard Kreisel, Volkmar Fritsche und Manuel Rotter. Leitung: Stefan Lennig, Orgelbegleitung: Manuel Rotter, Orgel: Kreuzorganist Holger Gehring, Liturg: Pfarrer Holger Milkau, Liturgie

Spendenaufruf für die Kirche Großröhrsdorf und aktuelle Informationen:

https://www.kirche-grossroehrsdorf.de/

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