Ambitionierte Ansätze

2. Kammerabend der Staatskapelle schließt Akademie und Capell-Compositeur ein

Es ist ja schön, wenn große Orchester Residenzen und Akademien einrichten. Akademisten tauchen dabei meist unauffällig »weiter hinten« in den Sitzplänen auf, jedoch rückte die Sächsische Staatskapelle die ihren am vergangenen Montag etwas stärker ins Rampenlicht und ließ sie zu Beginn des Kammerabends in der Semperoper in Quartettformation aufspielen. Dazu gab es den ersten Auftritt des aktuellen Capell-Compositeurs Georg Friedrich Haas, standesgemäß mit einer Uraufführung.

Das Streichquartett der Giuseppe-Sinopoli-Akademie (Makiko Iwakura und Taras Zdaniuk / Violinen, Christopher Sandberg / Viola und Sebastian Mirow / Violoncello) eröffnete den Kammerabend mit Franz Schuberts Quartettsatz c-Moll (D 703). Wer sich mit Kammermusik befaßt, kommt um dieses Werk nicht herum, auch nicht als Mitglied einer Orchesterakademie. Im Anspruch, aufeinander zu hören, zeigten sich die vier fortgeschritten, traten nicht als »1 plus 3« (Melodie und Begleitung) auf, sondern ließen Schuberts Themenverarbeitung transparent, gefühlvoll und mit einer Spur Vehemenz wandern. Daß am Ende die Präzision nicht ganz hielt, ließ sich angesichts der bewiesenen Ambition verschmerzen.

Der Capell-Compositeur 2023 / 24: Georg Friedrich Haas, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Harald Hoffmann

Mit Spannung erwartet wurde der erste Auftritt bzw. die erste Präsentation eines Werkes von Georg Friedrich Haas. Der ließ sich im Programmheft zunächst darüber aus, daß es nicht »Schlagzeug«, sondern »Klangwerk« heißen müsse, was so nachvollziehbar wie einladend schien. Dem Capell-Compositeur gelang es, die Erwartungen auch zu bedienen. In seinem Trio »Neues Werk für Baßklarinette, Violoncello und Schlagzeug« kam Georg Friedrich Haas gerade dem nach, was man unter Klangsuche oder Klangformung versteht. Baßklarinette (Moritz Pettke) und Violoncello (Simon Kalbhenn) sorgten mit langsamen, zunächst absteigenden Paarfiguren für einen Klangraum und Hintergrund, Simon Etzold für den Hauptklang bzw. die Melodie. Zwei längere Passagen zu Beginn, von Vibra- und Marimbaphon parallel getragen, bekamen einen zauberischen Charakter durch die ephemere Melodik, die zwischen Lied und Operette stets nahe war, aber nie wirklich greifbar wurde.Allerdings war dies nur ein Teil des ganzen Werkes, das sich mehr und mehr verzweigte, aufteilte, veränderte. Mag sein, daß das Cello anders gestimmt werden mußte – wer vermochte über die lange Distance (über eine halbe Stunde) der Entwicklung zu folgen, wer entdeckte die nun verkleinerten Quinten und wußte sie zu schätzen? Ereignisreich blieb das Werk, lockte vor allem mit den Theatereffekten aller möglichen, denkbaren (oder undenkbaren, unbekannten) Klappern, Rasseln, Klangblöcken, noch dazu, weil es mit so viel Einsatz und Enthusiasmus vorgetragen wurde. Indes ließ sich der Eindruck nicht vermeiden, daß der Verlauf ein wenig beliebig war, Haas rein musikalisch schlicht »nicht auf den Punkt« kam. (Wessen Neugier aber geweckt war, der stieß am späteren Abend im Radio vielleicht noch auf Georg Friedrich Haas‘ interessantes »Ein Schattenspiel«.) Das Publikum reagierte auf jeden Fall einhellig überwiegend positiv und mit vielen »Bravo!« (Allerdings stellte der im folgenden Stück wieder einsetzende Applaus nach jedem Satz den Publikumsgeschmack sogleich in Frage.)

Mit Louis Spohrs Nonett Opus 31 F-Dur und einem Ensemble um Susanne Branny (Violine) änderte sich nach der Pause die Klangrichtung deutlich. Es zeigte sich: die Kapelle kann eben auch anders. Sie nähert sich ebenso ernsthaft Neuer Musik wie der Unterhaltungsmusik des 19. Jahrhunderts. Die lyrische Gefälligkeit, die Spohr seinem Publikum bereitete, war voller Spannungen, gerade deshalb, weil sich so schön verfolgen ließ, wie diese Spannung in und zwischen Themen aufgebaut wurde, in der Streicher- oder Bläsergruppe oder im gegensaitigen Miteinander. Bis in die tiefsten Lagen (Christoph Bechstein / Kontrabaß, Erik Reike / Fagott und Robert Langbein / Horn) klang das federnd und nobel!

10. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

Mehr Musik von Georg Friedrich Haas gibt es wieder im Februar beim vierten Kammerabend sowie dem Sonderkonzert in Hellerau.

https://www.staatskapelle-dresden.de

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