Heinrich Schütz Musikfest feiert Scheins »Israels-Brünnlein«
Namen oder Bezeichnungen bekommen mitunter ganz plötzlich einen fatalen Beiklang. »Israel« kann man derzeit weder hören noch lesen, ohne an die grauenhaften Ereignisse im Gaza-Streifen zu denken, selbst wenn im konkreten Fall der Zusammenhang ein anderer ist – unberührt bleibt es trotzdem nicht, es geht schließlich doch um das »Volk Israel« und seine Jahrtausende alte Geschichte der Verwundung.
Im Fall des Heinrich Schütz Musikfestes am Freitag in der Dresdner Frauenkirche war der Anlaß dennoch ein positiver – 1623, also 100 Jahre vor dem Amtsantritt Johann Sebastian Bachs als Thomaskantor, veröffentlichte einer seiner Vorgänger, Johann Hermann Schein, die Madrigalsammlung »Fontana d’Israel, Israels Brünnlein«, Vertonungen, die sich auf Texte des Alten und des Neuen Testaments bezogen. Da die an sich dem Thomanerchor gewidmeten Werke, wie Dirigent Gregor Meyer vermutet, in den Stimmen wohl auch durch die Thomaner überwiegend solistisch (oder in nur zweifacher Besetzung) ausgeführt wurden, vor allem aber, weil Schein – wie später Heinrich Schütz bei seinen geistlichen Werken – für den Druck des Israels-Brünnleins sorgte, konnte sich das Werk bis in private Haushalte verbreiten und wurde zum musikalischen Gut, das überdauerte.

Die Opella Musica (hinten: Isabel Schicketanz, Tobias Hunger, Friedemann Klos, Susanne Langner und Heidi Maria Taubert, dazu Tillmann Steinhöfel / Violone und Gregor Meyer / Orgel und Leitung), Photo: HSMF, © Ronald Bonss
Die Sänger der Opella Musica (Isabel Schicketanz und Heidi Maria Taubert / Sopran, Susanne Langner / Alt, Tobias Hunger / Tenor und Friedemann Klos / Baß) waren um nur zwei Continuo-Instrumente ergänzt (Tillmann Steinhöfel / Violone und Gregor Meyer / Orgel), was den zauberhaften Charakter der Werke und Texte nur unterstrich.
Anders als die von Schütz bevorzugten Motetten (wiewohl er einige vorzügliche Italienische Madrigale SWV 1 bis 19 geschrieben hat) betonen Madrigale oft einzelne Stimmen oder verschlingen diese im Verlauf freier. Mit fünf so exzellenten Sängern wie bei der Opella Musica entfaltet sich damit eine ganz außerordentliche Wirkung, sowohl in der Herausstellung einzelner Stimmen wie auch im Kontrast. Isabel Schicketanz mit ihrem himmlischen Sopran durfte viele der Madrigale anstimmen bzw. den auslösenden Impuls spenden. Herausragend war die affektive Wirkung, von Momenten der Ruhe und Besinnung (I. »Oh Herr, ich bin dein Knecht«) ebenso wie im wehmütigen Rückblick (IIX. »Ich bin jung gewesen«) oder den Tränen nahe (XXI. »Was betrübt du dich, meine Seele«).

Dirigent Gregor Meyer und Sprecher Axel Thielmann, Photo: HSMF, © Ronald Bonss
Das trifft gleichermaßen auf den Verlauf zu, denn viele der Madrigale münden in eine frohe Botschaft oder spenden Trost, wie schon eingangs II. »Freue dich des Weibes deiner Jugend« gezeigt hatte. Immer wieder aber sorgte Opella Musica für Schwebungen, wie in IV. »Ich lasse dich nicht«, was im Schiff der Frauenkirche vielleicht noch einmal wirkungsvoller geriet. Auch das zählte zum Gewinn des Konzerts – wer nicht gerade speziell das Israels-Brünnlein kannte, fand dennoch viele Texte wieder, die er kennt, zum Beispiel aus Vertonungen anderer Komponisten (XV. »Unser Leben währet siebnzig Jahr«).
Ergänzt wurde die feinsinnige Auslegung durch gelesene Texte. Axel Thielmann fügte den Worten aus der Bibel solche von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Paul Fleming, Paul Gerhard und anderen an. Bedenkenswertes oft, ging es nicht zuletzt um Eitelkeiten (Andreas Gryphius) oder eine Lebensbilanz (Philipp von Zesen). Freilich sind solche Rezitationen mit Mikrophon immer etwas heikel, schienen im Vergleich mit dem feinsinnigen Gesang ein wenig dominant.
Mit dem letzten der Madrigale (»Nu[n] danket alle Gott«) bedankte sich Opella Musica bei ihrem Publikum.
14. Oktober 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Johann Hermann Schein »Israels Brünnlein«, Opella Musica, Gregor Meyer, 2 CDs, erschienen bei CPO
Radiotip: Deutschlandfunk Kultur, Sendung Alte Musik vom 11. Oktober »Ob Leipzig oder Venedig … Der Thomaskantor Johann Hermann Schein« von Michael Maul, nachzuhören in der Audiothek (https://www.deutschlandfunkkultur.de/alte-musik-100.html) http://www.schuetz-musikfest.de/