Orgelzyklus-Konzert mit Posaune
Immer wieder einmal »tanzt« der Dresdner Orgelzyklus »aus der Reihe«, will heißen: er weicht vom gewohnten Format eines Orgelrezitals ab. Meist geschieht dies in der Kreuzkirche, wo Kreuzorganist Holger Gehring gestern die Leipziger Posaunistin Julia Nagel empfing. Die freie Künstlerin hatte in der Pandemiezeit ein Stipendium Neustart Kultur erworben, als dessen Resultat jetzt zwei Uraufführungen zu hören waren.

Der Trompeter und Komponist Douglas Hedwig, Photo: Douglas Hedwig (https://www.douglashedwig.com/)
Einer der beiden Komponisten, Douglas Hedwig, war sogar eigens angereist, hatte schon ein paar Tage in Dresden verbracht und zuvor ein Konzert der Philharmonie sowie des Hochschulsinfonieorchesters in der Semperoper [unser Bericht folgt in zwei Tagen] erlebt und erzählte im Gespräch »Unter der Stehlampe« einiges zu seinem Werk. Als langjähriger Solotrompeter an der New Yorker MET hat er viele verschiedene Stile kennengelernt, ist beeinflußt worden. Als wesentlich stellte er dabei die indische Musik heraus, die in sein Werk »Antara« (Sanskrit – »ganz nahe« oder »mitten inne«) eingeflossen ist. Der Begriff steht unter anderem für eine Balance zwischen gegensätzlichen oder widersprüchlichen Einflüssen. In drei Sätzen spiegelt Douglas Hedwig solche zwischen Orgel und Posaune. Julia Nagel freute sich: es sei ein Unterschied, ob ein Blechbläser ein Stück für Posaune schreibe oder nicht. Schlicht und einfach, weil er zum Beispiel weiß, wieviel Glissando die Posaune mit ihrem Zug erzeugen kann.
Im dreiteiligen Werk mischten sich unterschiedliche Klangpartikel – während die Posaune mit tatsächlich vielen Glissandi, aber auch kadenzartigen Passagen, meist die Melodie spielte, sorgte die Orgel für eine teils minimalistische Begleitung. Dennoch ergab sich die Gesamtwirkung aus den Reflexionen bzw. der Mischung beider.
Im Mittelteil hatte Holger Gehring zwei Gruppen mit Orgelsolostücken zusammengestellt und von Jubilar Max Reger Pastorale aus den Zwölf Orgelstücken Opus 59, Toccata und Fuge a-Moll (Opus 80) sowie Benedictus (ebenfalls Opus 59) ausgewählt, später folgten Louis Viernes Clair de lune und Toccata aus den 24 Pièces de Fantaisie, Quatrième Suite Opus 55. Hier spiegelte sich der Programmtitel »Stimmungen« ganz wunderbar, darüber hinaus durfte man jeweils eine besondere Seite an beiden Komponisten entdecken, wie Regers faszinierende Verwebung in der Fuge oder seine polyphon leuchtenden liturgischen Orgelwerken. Bei Vierne verblüffte die pianistische Toccata, die in der Tat – Vierne hat Schumann verehrt – an Robert Schumanns Opus 7 erinnerte.
In der Mitte des Programms kam Julia Nagel in den Altarraum für ihr Solowerk, Leonard Bernsteins Elegy for Mippy II. Das jazzige Stück soll vom Stampfen des Posaunisten begleitet werden, weshalb Julia Nagel – weil sie fürchtete, nicht ausreichend stampfen zu können – dafür eine Baßtrommel verwendete. Die Idee war nachvollziehbar, jedoch geriet der Trommel doch zu dominant. Während ein stampfender Posaunist (allerdings im Jazzclub, nicht in der Kirche) auch für Vibrationen des Bodens sorgt, blieb die Trommel auf den akustischen Schlag reduziert.
Schließlich wechselte Julia Nagel wieder nach oben auf die Empore. Douglas Browns 6 Moods (sechs Stimmungen), die zweite Uraufführung des Abends, lud zu einem Selbstversuch ein, die Stimmung der sechs Stücke zu erkunden, ohne ins Programm zu schauen. Ergebnis des Rezensenten:
- Vive
- Moderato / Elegie
- Andante cantabile
- Allegro
- Prélude – Adagio cantabile
- Scherzo
Das traf es letztlich recht gut, denn im Original schreibt der Komponist vor:
- Vivo
- Moderato
- Andante
- Agitato
- Cantabile
- Scherzando
Dazu war Douglas Browns Stück etwas zugänglicher als das erste Werk im Programm, und bewies durchaus Humor – das Scherzando sollte »Oktoberfest-Feeling« vermitteln, was Julia Nagel und Holger Gehring absolut gelang, denn es klang (und durfte so klingen) nicht wenig nach fröhlichem Rummel und Drehorgel.
Blieb noch die Frage, ob die beiden eine Zugabe vorbereitet hätten. Holger Gehring jedoch begab sich in Zuhörerlage (entspannt neben der Orgel sitzend), während Julia Nagel noch ein Stück von Douglas Hedwig spielte. Was wie Variationen eines Abendliedes klang, war »Julia in Cascais (C-A-Es-C-Ais)«, das der Komponist der Posaunistin zum Geburtstag geschrieben hatte (sie war im Sommer in Cascais / Portugal gewesen).
Im nächsten Konzert des Dresdner Orgelzyklus (1. November) spielt Andreas Marquardt (Saalfeld) in der Frauenkirche Stücke von Max Reger. Eine Woche später kommt Henk Galenkamp (Zwickau) in die Hofkirche (François Couperin, Johann Ludwig Krebs und Felix Mendelssohn), am 15. November dann ist Domorganist i. R. R. Hartmut Rohmeyer (Lübeck) ein Lehrer von Holger Gehring und Absolvent der Hochschule für Kirchenmusik Dresden, in die Kreuzkirche (Musik von Michael Praetorius, Dieterich Buxtehude und Johann Sebastian Bach).
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