Dem Vergessen entrissen (?)

Film »Il boemo« zeichnet Leben des Komponisten Josef Mysliveček nach

Am Sonntag war der größte Saal im Dresdner Programmkino Ost fast ausverkauft – nehmen wir es als gutes Zeichen für einen Film, der seinen offiziellen Weg in die deutschen Kinos noch nicht gefunden hat – »Il Boemo« von Regisseur Petr Václav sucht aktuell nach einem deutschen Filmverleih. Dabei ist die biographische Erzählung über das Leben des Komponisten Josef Mysliveček bereits in zwanzig Ländern gezeigt worden, fand in Frankreich schon über 100.000 Besucher. Die (vorerst) einmalige Dresdner Vorführung fand im Rahmen der Tschechisch-Deutschen Kulturtage statt.

DER KOMPONIST

Josef Mysliveček wurde 1737 in Prag geboren. Eigentlich soll er das Müllerhandwerk erlernen und im Familienbetrieb arbeiten, doch Josef zieht es zur Musik. Die Mühle wird sein Zwillingsbruder Joachim führen, während er nach Venedig geht, um bei Giovanni Battista Pescetti Komposition und Gesang zu studieren. Nach einer zunächst schwierigen Anfangszeit stellen sich Erfolge ein – Bergamo, Neapel, Venedig, Florenz, Padua … In ganz Italien spielt man die Werke von »Il boemo« (Der Böhme). Wesentliche Anteile haben die berühmten Sänger der Zeit, Anton Raaff oder Caterina Gabrielli. Mit La Gabrielli soll Josef Mysliveček eine Affaire gehabt haben – sagt die Legende.

DER FILM

Noch bis vor kurzem war der Name Josef Mysliveček praktisch vergessen. Mittlerweile ist er den Freunden der Alte-Musik-Szene jedoch bereits wieder bekannt. Keinen geringen Anteil daran haben Václav Luks und das Collegium 1704, welche die Musik des Böhmen seit einigen Jahren spielen. Bereits 2018 entstand eine großartige Aufnahme mit Violinkonzerten (mit Solistin Leila Schayegh, Sinfonien und Ouvertüren, erschienen bei Accent 2018). Václav Luks fungierte nun für Petr Václavs Film nicht nur als musikalischer Berater, er spielte mit seinem Collegium, das zudem szenisch mitwirkt, die Musik ein.

Vojtěch Dyk als Josef »Giuseppe« Mysliveček, Filmausschnitt (Mimesis Film)

Doch zunächst zur Geschichte: Regisseur Petr Václav konnte durch ein Stipendium ein Jahr lang in Italien um die Person Josef Myslivečeks forschen und das reichhaltige Material sichten – eine wesentliche Grundlage für den biographischen Film. Aufzeichnungen, Briefe (meist der Korrespondenzpartner) und anderes gestatteten es, die »weißen Flecken« auszugestalten. Freilich geht das nur, wenn auch der Zuschauer dabei die künstlerische Freiheit der Interpretation erlaubt. So wird die nachgesagte Affaire mit La Gabrielli im Film eine Tatsache.

Barbara Ronchi als Caterina Gabrielli, Filmausschnitt (Mimesis Film)

Vor allem gelingt es dem Team aber, eine originale Atmosphäre zu transportieren, und das nicht nur, weil man originalen oder authentischen Schauplätzen gedreht hat. Es überzeugt vom Spiel (szenisch und musikalisch) bis zu den großartigen Kostümen von Andrea Cavalletto. Nur die Kameraeinstellungen, in den Opernszenen oft (zu) nah an den Protagonisten, wirken manchmal anstrengend. Zwar wird damit deutlich, daß Oper, daß Singen Schweiß und Tränen erfordert, doch ist diese Nähe, Dichte oder Indiskretion auch etwas viel.

Petr Václav bleibt aber immer nah genug an den Hauptfiguren, um glaubhaft zu sein. Das schließt den Beginn des Komponisten in Venedig ebenso ein wie sein trauriges Ende – während der Anfang nicht nur durch eine Affaire gezeichnet ist, sondern zeigt, wie entwürdigend Antichambrieren sein kann (oder wie es auf uns wirkt, wenn wir den jungen Komponisten, von dem wir wissen, was für ein Genie er war, beobachten), stimmt das Ende mit einem von der Syphilis gezeichneten Mann (gerade einmal Mitte 40!) ungemein traurig. Hinsichtlich des Filmerlebnisses darf sich »Il boemo« ohne weiteres neben »Amadeus« sehen lassen (und steht in manchem darüber), andere Vergleiche mit einem »großen«, vielfach oscarnominierten Film aus diesem Jahr ziehen wir lieber gar nicht erst …

MUSIK UND SCHAUSPIELER

Ein Betörungsfaktor von »Il boemo« ist die Musik, die einfach großartig ist, und vom Collegium 1704 ebenso wiedergegeben wird. Wer bekommt da keine Lust, nach Venedig zu fahren und sich Josef (bzw. »Giuseppe«) Myslivečeks »La clemenza di Tito« oder »Ezio« anzuschauen? Wie schön, wenn im Film dann Sänger auftauchen, die oft in der Konzerten der Musikbrücke Prag – Dresden zu Gast sind, wie Simona Šaturová, Raffaella Milanesi oder Krystian Adam (der sogar szenisch mitspielt), aber auch Philippe Jaroussky ist mit dabei. Und nicht nur das – Petr Václav hat bis zu Philip Hahn, der den jungen (etwas vorlauten, aber kindlich-gottesfürchtigen) Mozart spielt, darauf geachtet, daß echte Musiker die wichtigsten Rollen übernehmen. Vojtěch Dyk, der Josef »Giuseppe« Mysliveček, ist Schauspieler und Sänger.

FAZIT UND NACHBESPRECHUNG

Mit über zwei Stunden geriet der Film vielleicht etwas lang, überzeugt aber mit seiner erzählerischen Wucht. Zur Nachbesprechung am Sonntag im Programmkino Ost waren Produzent Jan Macola und Philip Hahn, der Darsteller des jungen Mozart, anwesend und verliehen der Festveranstaltung der TDKT eine besondere Note. So erfuhr das Publikum, daß Philip Hahn in seiner Szene selbst gespielt und komponiert hatte, denn er wollte zeigen, wie Mozart (und das ist von diesem überliefert) ein einmal gehörtes Stück sofort nachspielen konnte und damit zu improvisieren wußte.

Jan Macola erzählte, daß die Unterbrechung bzw. Verlängerung der Drehzeit durch die Pandemie natürlich schrecklich gewesen ist, Zeit und Geld gekostet habe. Immerhin sei jedoch ein Vorteil gewesen, in einem menschenleeren Venedig drehen zu können.

Wer mehr zum Film erfahren mag, findet dazu zahlreiche Informationen auf der englischsprachigen Seite von »Il boemo«. Für musikalische Kurzweil sorgt die CD zum Film mit Václav Luks und dem Collegium 1704. Ein Trost: falls es tatsächlich nicht mit dem Kino in Deutschland klappen sollte, verspricht der Name des Kooperationspartners arte immerhin eine Fernsehausstrahlung irgendwann in der weiteren Zukunft.

6. November 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: »Mysliveček – Il Boemo«, mit Philippe Jaroussky, Emöke Barath, Sophie Harmsen, Krystian Adam, Collegium 1704, Václav Luks, erschienen bei Erato

https://www.ilboemo.cz/

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