Kreuzchorvesper vor dem drittletzten Sonntag des Kirchenjahres
Der kalte, graue November ist letztlich einer der schönsten – innigsten! – Monate des Jahres. Denn er schließt zum Beispiel ein Innehalten und Abschiednehmen ein. Auch beim Dresdner Kreuzchor stehen entsprechende Werke auf dem Programm: Eine Woche vor der traditionellen Aufführung von Johannes Brahms‘ Deutschem Requiem, diesmal gemeinsam mit den Knaben der Cantores Minores, gehörte Musik, die sich mit Lebensende und Tod auseinandersetzt, zur Kreuzvesper am Sonnabend.

Zu Beginn erklang wie immer eine Uraufführung der aktuellen Residenzkomponistin Agnes Ponizil. In ihrem Introitus zum drittletzten Sonntag des Kirchenjahres griff sie die Worte »Herr, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!«, »Könnte ich hören, was Gott der Herr redet …« sowie ein das Gebet »Ehre sei dem Vater und dem Sohn …« auf. Wie schon in ihren ersten Beiträgen traten die Stimmen klar hervor, standen den gesungenen Passagen einzelne gesprochene Zeilen gegenüber. Damit konzentriert Agnes Ponizil jeweils auf ein bestimmtes Thema oder einen Gedanken, andererseits scheinen die Introitus manchmal etwas spröde, zumindest, wenn ihnen ein so berührendes, fast sinnliches Werk wie Heinrich Schütz‘ Geistliche Chormusik »Selig sind die Toten« (SWV 391) oder Johann Hermann Scheins »Unser Leben währet siebnzig Jahr« (aus dem »Israelsbrünnlein«) folgt. Während bei Schütz der Chor auf das zentrale »sie ruhen« (von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach) lenkte und geradezu für ein Seelenbad sorgte, beeindruckte bei Schein sowohl die Selbstverständlichkeit, mit welcher der Text von den jungen Sängern vorgetragen wurde (immerhin erscheint doch uns heute ein Leben von siebzig Jahr nicht lang, eher unvollendet) wie auch die dramaturgische Steigerung im Verlauf.
Dem fügte Kreuzkantor Martin Lehmann gleich darauf Johann Bachs »Unser Leben ist ein Schatten« hinzu, das für eine Motette erstaunlich effektvoll ist. Nicht zuletzt, weil nun ein kleines Instrumentalensemble mit Johanna Oelmüller Rasch (Viola da Gamba) Tillmann Steinhöfel (Violone), Stefan Maass (Laute) und Sebastian Knebel (Continuoorgel) zur reichen Ausgestaltung beitrug.
Mit Heinrich Schütz‘ »Unser Wandel ist im Himmel« (SWV 390) und Andreas Hammerschmidts Andachtslied »Meine Seele erhebt den Herren« blieb der Kreuzchor thematisch im nahenden Abschluß des Kirchenjahres. Daß er nach der Finnlandreise und in den Vorbereitungen des Brahms-Requiems einmal nicht ganz die mittlerweile gewohnte Spitzenqualität erreichte, in Homogenität und Intonation (vor allem Sopran) ein wenig zurückblieb, war nachvollziehbar und ist angesichts der dennoch vermittelten Texte und Aussagen eine Randnotiz.
Das Vertrauen in die Arbeit des Chores ist ohnehin groß, so daß er auch einen »Vorschuß« geben würde oder bekäme. Pfarrer Holger Milkau hatte die Worte »Unser Wandel ist im Himmel« (Später im Gemeindegesang »Wir warten dein, oh Gottessohn«, EG 152 verdichtet) aufgegriffen und war auf den Zusammenhang und die Bedeutung von Warten, Vertrauen und dem sogenannten »Belohnungsaufschub« eingegangen.
Kreuzorganist Holger Gehring hatte mit Johann Sebastian Bachs Triosonate Nr. 4 (BWV 528 e-Moll) zwischen Gemeindegesang und Andreas Hammerschmidt für farbenfrohe Auffrischung gesorgt, für einen wahren Schwerpunkt eine großartige Interpretation sorgten kurz darauf die Kruzianer Luca Nozon und Gustav Schade (Baß), die Heinrich Schütz‘ Kleines geistliches Konzert »Fürchte dich nicht« (SWV 296) vortrugen. Solche solistischen Darbietungen ist man mittlerweile gewohnt, doch darf diese incl. der zueinander passenden Stimmen bzw. der aufeinander achtenden Sänger als besonders gelungen bezeichnet werden!
Mit der Motette »Ich weiß, daß mein Erlöser lebet« von Johann Schelle sorgte der Kreuzchor in seiner Gesamtheit noch einmal für den Ausklang, gewohnt text- und deutungssicher.
13. November 2023, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Wochenende gibt es gleich zweimal Knabenchöre in der Dresdner Kreuzkirche zu erleben: die Cantores Minores aus Helsinki erwidern den Besuch der Kruzianer in der letzten Woche und gestalten die Vesper am Sonnabend (Werke von Jaakko Mäntyjärvi, Fran Martin und Arvo Pärt, Orgel: Marianne von Einsiedel, Liturg: Superintendent Christian Behr), am Sonntag treten beide Chöre gemeinsam mit Johannes Brahms‘ Deutschem Requiem auf (mit Musikern der Dresdner Philharmonie, Leitung: Kreuzkantor Martin Lehmann).
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