Geburtstagskonzert für einen Multiplikator an der Dresdner Musikhochschule (HfM)
Jörn Peter Hiekel gehört zu den umtriebigsten Initiatoren der Neuen Musik oder »Klassischen Gegenwartsmusik«, wie er sie nennt, und war damit auch schon oft in den Neuen (musikalischen) Blättern vertreten – wenn nicht namentlich, stand und steht er hinter zahlreichen Aufführungen wie den am Haus etablierten Short concerts, die Neue und Alte Musik verbinden, oder in den Ausläufern des weitverzweigten KlangNetz Dresden e. V. Als Auslöser hat er nicht nur selbst vieles ins Leben gerufen, sondern Partner eingebunden, manches aktiviert. Bescheiden meinte er zum Abschluß des ihm gewidmeten Geburtstagskonzertes am vergangenen Donnerstag im Konzertsaal der HfM, er habe hier in Dresden ja nicht »in der Asche« angefangen, sondern auf gewährte Strukturen aufbauen können.
Jörn Peter Hiekels Publikationen sind nicht nur umfang- und zahlreich, sondern mit ihrer Fülle an Daten und der analytischen Tiefe stets eine Bereicherung. Daß ihm die Zeitschrift »Opernwelt« gerade jetzt die Auszeichnung »Buch des Jahres« für seine Monographie »Helmut Lachenmann und seine Zeit« zusprach, paßt einfach ins Bild und scheint eine logische Folge zu sein. Nicht zuletzt, weil das Buch eines jener Themen bzw. Personen aufgreift, die Hiekel geradezu immanent verfolgt: schon oft war der bis heute schaffenskräftige (man möchte fast sagen schaffenswütige) Helmut Lachenmann an der HfM zu Gast, gab sein Wissen in Gesprächskonzerten, Meisterkursen oder Symposien weiter – immer wieder erhellend.

Und so fanden sich viele lebendige Belegbeispiele, auf die der Musikwissenschaftler Wolfgang Mende, der moderierend-laudatierend durch den Abend leitete, verweisen konnte. Claudia Schmidt-Kamer, Prorektorin für Künstlerische Praxis, erinnerte sich an einen ganz besonderen Moment unter den vielen: als es 2021 buchstäblich nichts gab, die Kultur nur in kleinsten Pflänzchen hier und da zaghaft blühte, da fand an der HfM Dresden ein ganzes Lachenmann-Festival statt!
Kein Wunder also, wenn der Anlaß viele Spieler (im wahrsten Sinn des Wortes) auf den Plan rief. Kollege Mark Andre hatte in Abwesenheit einen Videobeitrag (Schumanns »Der Dichter spricht«) gesandt, sonst stand die Klassische Gegenwartsmusik im Mittelpunkt. Neben Meilensteinen der Moderne, teils schon zum Klassiker gereift, gehörten sechs (!) Uraufführungen zum Programm. Gerhard Stäbler (»Zwischenräume«), Franz Martin Olbrisch (flow IV für Jörn Peter«), Alberto Arroyo (»JP 49 + 11«) sowie Nikolaus Kuhn (»Ruh aus in deinem Plural«) hatten neue Stücke, vokal und instrumental (oder beides) für den Anlaß geschrieben und erkundeten darin die Klangräume unserer Gegenwart. Manos Tsangaris erkundete improvisierend »das Objekt« Jörn Peter Hiekel in »der hiekel-auslöser … und seine zeit« humoristisch und an Loriot erinnernd, den Manuel Gervink bereits in seinem Wortbeitrag bedacht hatte (mit Bezug auf einen der Sketche, wonach man mit einem »Jodeldiplom« etwas für die Zukunft habe [Loriot], während die Neue Musik beständig neu erkämpft werden will [Gervink]). Shen Hou fügte dem ein eigenes Gedicht (»JPH-60«, deutsch und chinesisch) hinzu.
Zu den Klassikern im Programm zählten Helmut Lachenmanns »Pression« und Bernd Alois Zimmermanns Sonate für Violoncello solo (beides von Wolfgang Lessing gespielt) sowie Morten Feldmans »i met heune on the rue fürstenberg«. Gerade letzteres zeigte, welch hoher Bezauberungswert der Klassischen Gegenwartsmusik doch innewohnen kann – braucht es da noch ein Plädoyer, danach zu suchen?

Mischtöne, Pausen bzw. Grenzen, Zwischenräume und Übergänge … Es wurden schließlich annähernd drei Stunden Musik. Vor dem späten Empfang bedankte sich Jörn Peter Hiekel und zitierte noch einmal Helmut Lachenmann, der wiederum Karlheinz Stockhausen zitiert, wenn er folgende Anekdote wiedergibt: Ein langjähriger Berufsmusiker habe Stockhausen einmal gesagt »Das hier ist keine Musik, warum muß ich das spielen?«. Die Antort des Komponisten lautete: »Damit Sie jung bleiben!«* Also, lieber Jörn Peter Hiekel: bleiben Sie jung!
17. November 2023, Wolfram Quellmalz
* Die Anekdote ist unter anderem im Artikel »Jedes ›Brrr‹ mit Verantwortung« der Süddeutschen Zeitung überliefert (5. Dezember 2018). Wenn man den Text online aufruft, findet man dort den Zusatz »Dieser Artikel wurde noch nicht vertont« – ein Spaß von Helmut Lachenmann oder ein versteckter Kompositionsauftrag? (Wohl nichts dergleichen. Er meint bloß, daß die Vorlesefunktion für diesen Artikel nicht zur Verfügung steht.)

Jörn Peter Hiekel »Helmut Lachenmann und seine Zeit«, 520 Seiten, Laaber Verlag, 46,80 €