Tobias Aehlig im Dresdner Orgelzyklus
Im vorletzten Konzert des Dresdner Orgelzyklus‘, dem letzten in der Katholischen Hofkirche (Kathedrale), hatte der heimische Domorganist Sebastian Freitag einen Freund und Kollegen aus der alten Heimat Paderborn eingeladen: Tobias Aehlig ist dort seit 2013 Domorganist am Hohen Dom.
Für Dresden hatte sich Tobias Aehlig ein Programm zurechtgelegt, das nicht nur durch die Jahrhunderte wandelte und eine improvisierte Suite beinhaltete – Improvisieren, erklärte der Organist im Vorgespräch, sei ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit –, er folgte, so zumindest der Rück-Schluß nach dem Konzert, nicht zuletzt einem Klangsinn. Vielleicht ein Klangsinn beim Erkunden der Silbermann-Orgel, (im Hohen Dom kann Tobias Aehlig an einem modernen Instrumentarium spielen, das von einem zentralen Spieltisch aus drei Orgeln zusammenführt), vielleicht auch ein Klangsinn der Darstellungsformen und Gegensätze.
Das »Darstellen« bzw. Bildende Künste scheinen manchen Werken der Literatur (nicht nur für die Orgel) näher zu liegen als anderen. Sigfrid Karg-Elerts Preambulo Opus 145, das mit einer kleiner Aufwärtsgirlande beginnt, präsentierte der Organist in seiner mannigfaltigen Filigranität der Elemente. Elemente, die sich verzweigen und sinfonisch vereinigen. Scheint das Anfangsornament noch früheren Zeiten entlehnt, wächst das Werk – zunächst im Baß, dann in seiner ganzen Größe – deutlich in die Moderne. Gerade diese Darstellung darf als gelungene Annäherung bezeichnet werden, die jeden, der bei »Karg-Elert« skeptisch blickt oder aufschreckt, mit ihrem Klang gewinnen konnte. Am Schluß schien das Preambulo nicht nur (wie eine Kerze zur Flamme) an Strahlkraft zuzunehmen, es ließ noch im Nachklang ein schönes Glitzern zurück – berauschend!

So dem Klang hingegeben blieb Tobias Aehligs Vortrag. Johann Sebastian Bachs Concerto d-Moll (BWV 596) nach Antonio Vivaldi haben wir in den letzten Monaten einige Male gehört. (Vermutlich ist es das derzeit meistgehörte Orgelwerk bei den NMB.) Doch so schön war es lange nicht! Das meint nicht nur die ausgewogenen Register, deren Farben die (fehlenden) Violinen Vivaldis gut ersetzten, das meint zuvörderst die Zeit, das Tempo – mit Ruhe, fast gemächlich und mit Pausen wie am Beginn des ersten Allegro machte auch die soundsovielte Aufführung (oder Anhörung) schlicht Spaß.
Die Spannung konnte die folgende Suite improvisé nicht ganz halten, wobei man sagen muß, daß die jahreszeitliche Kälte in der Hofkirche den Zuhörern mittlerweile durchaus ein wenig zusetzt, was den Eindruck vielleicht beeinflußt hat. Überraschend war, daß Tobias Aehlig nicht vordergründig von einem Thema ausging, über das er improvisiert, sondern vielmehr in fünf Sätzen verschiedene Zeitabschnitte, Musikepochen, einzufangen schien. Bis in den Barock oder sogar die Renaissance schien die Orgel harmonisch alte Zeiten aufleben zu lassen, zunächst mit kräftigen Bläsern wie Chalumeaux oder Cornet, später in der weicheren Färbung der Flöten. Dazwischen ging es bis in unsere Tage, im Klang an ein Glockenspiel und die munteren Sprünge eines Jean Françaix erinnernd, im letzten Satz durfte die Silbermann-Orgel dann romantischen Schimmer verbreiten.
Mit Johann Sebastian Bachs Partite diverse sopra il Corale »Oh Gott, du frommer Gott« folgte darauf ein Werk, welches das Thema bzw. die Stimme vielfach moduliert und variiert, zentral hervortreten oder im Plenum aller Register (als Orchester) fast verschwinden läßt, um dann wieder, wie ein Choral, aus dem Hintergrund, aber mit aller Überzeugungskraft, aufzuscheinen.
Selbst bei Franz Liszts Präludium und Fuge über B-A-C-H behielt Tobias Aehlig den klanglichen Überblick. Zunächst in der Filigranität an Karg-Elert erinnernd, türmte Liszt schon das Präludium zu einem Berg, den er quasi anschwellen und wieder absinken läßt. Die Fuge setzt danach auf dem Fußpunkt auf – wo das Präludium noch mit Wucht beeindruckte, sprach die Fuge klare Worte, wuchs aber nicht minder in ihrer Komplexität.
30. November 2023, Wolfram Quellmalz
Der Dresdner Orgelzyklus wird in der kommenden Woche mit dem letzten Konzert in der Kreuzkirche mit einem weihnachtlichen Programm abgeschlossen. Kreuzorganist Holger Gehring und Thomas Lennartz spielen die beiden Orgeln, Axel Thielmann liest zwischen der Musik Texte aus der Bibel, von Theodor Fontane, Bertolt Brecht und anderen. Bereits ab 19:19 Uhr treffen sich die drei zum Vorgespräch »Unter der Stehlampe«.
https://www.kreuzkirche-dresden.de
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