Auftakt im Weihnachtskreis

Neujahrskonzert des Vica Ensembles in der Dresdner Matthäuskirche

Der Name Vica Ensemble klingt noch ungewohnt, doch die Akteure kennen wir bereits: Richard Stier (Dirigierstudent bei Hans-Christoph Rademann an der HfM Dresden) hatten wir vor einem Jahr bereits beim Weihnachtsoratorium in die Herz-Jesu-Kirche sowie im Herbst zu Messiah in die Matthäus-Kirche begleitet [NMB berichtete: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/01/11/zuruck-auf-anfang/ und https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/10/12/gelungener-messiah/], nun stand – erneut in der Matthäus-Kirche der Friedrichstadt – ein Neujahrskonzert auf dem Programm, das sich aber noch dem Weihnachtskreis hingab. Ein gemischtes Programm also statt eines großen Oratoriums, insofern auch ein anderer Anspruch, weil das bedeutet, auch das Programm zu komponieren, den Verlauf zu gestalten.

Die Spannung stieg vorab, denn unter den Musikern und Sängern gab es offenbar ein Geburtstagskind, dem die Kommilitonen hinter noch verschlossenen Türen ein »Happy Birthday« sangen.

Vica Ensemble und Violoncelloquartett, Photo: NMB

Richard Stier hatte sich für eine Dreiteilung des Programms entschieden, die thematisch (ungefähr) Neujahr, Weihnachten und noch einmal das neue Jahr umkreiste. Davor bzw. zwischen den Teilen spielten Johann Eilrich, Paul Garnier, Franziska Griese und Jula Murbach auf ihren Violoncelli im Quartett. Vier Celli eröffnen eine ganz eigene Klangwelt, die sehr bannen, deren spezieller Effekt aber nach einiger Zeit aber nachlassen kann. Insofern war es schön und richtig, daß sich Wilhelm Fitzenhagens Ave Maria (Opus 41, Beginn), Guillaume Pâques Souvenir de Curis und das Notturno aus Felix Mendelssohns Schauspielmusik »Ein Sommernachtstraum« (Bearbeitung für vier Violoncelli: Wilfried Rehm) mit dem A-cappella-Gesang abwechselte, ein zu großer Schwerpunkt vermieden wurde. Als harmonische oder kontemplative Zwischenmusik waren die Quartettstücke eine Abwechslung, Guillaume Pâques Souvenir de Curis ähnelte einem fernen Gesang. Darüber hinaus begleiteten die vier manche der Lieder oder übernahmen ein Vorspiel (bzw. beides), wie in Michael Praetorius‘ »Der Morgenstern ist aufgedrungen«. Gerade die romantischen Kompositionen von Josef Gabriel Rheinberger (»Mit dir begonnen sei das neue Jahr«) oder Felix Mendelssohn (»Wer bis an das Ende beharrt«) erfuhren außerdem einen dramaturgischen oder gestalterischen Verlauf (ähnlich eines Organisten, der die Strophen eines Kirchenliedes unterschiedlich registriert).

In Sachen Gestaltungswillen bewies Richard Stier Ideen und schaffte Bezüge. Schon das erste Lied (Mendelssohns »Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für«) schien an das zuvor erklungene Ave Maria der vier Celli direkt anzuschließen. Mit Max Regers Neujahrslied »Das alte Jahr vergangen ist« und Johann Hermann Scheins Fassung von »Unser Leben währet siebnzig Jahr« blieb der Duktus von Kirchenliedern, Madrigalen, im ersten Abschnitt erhalten, zu dem auch Emanuel Vogts »Tausend Jahre sind vor Dir wie ein Tag, der gestern vergangen«. Die Textvertonung stammt aus den Windsbacher Psalmen (Richard Stier ist im Windsbacher Knabenchor großgeworden).

Vogt war gleichzeitig eine Überleitung zu Werken, die nicht allein für einen gemischten Chor geschrieben waren. Im zweiten Abschnitt gab es zahlreiche Soli, wie bei Eric Whitacre (Lux Aurumque: Marlene Walter / Sopran), in »Der Morgenstern ist aufgedrungen« wirkte ein Solistenensemble mit. Mit Francis Poulenc (Videntes stellam) und Arvo Pärt (Nunc dimittis) bewies das Vica Ensemble, daß es gleichermaßen einen leichten Zugang zu modernen Kompositionen hat und diese sinnlich darzubieten weiß.

Im Gestaltungssinn und -willen forderte Richard Stier sehr viel, zeigte aber auch Wagemut zugunsten des Ausdrucks. Insofern war verschmerzbar, daß der Chor bei manchen Liedern nicht so geschlossen wirkte wie gewohnt (Poulenc) oder daß die Ausgewogenheit zwischen Singstimmen und Celli manchmal etwas fehlte – Gustav Ernst Schrecks »Wie schön leuchtet der Morgenstern« wirkte in der zweiten Strophe a cappella noch einmal deutlich inniger und stringenter als mit Instrumentalunterstützung.

Romantisch schloß das Konzert. Johannes Brahms‘ »Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz«, zunächst stark forciert, beeindruckte mit seinem fast extremen dynamischen Verlauf, ähnlich Max Regers »Morgengesang«, der an die Choralvertonungen des Komponisten erinnerte.

So viel Ausdruck, ja Expressivität, kam beim Publikum gut an. »Das war für mich ein Konzert des Jahres, auch wenn das Jahr noch jung ist« meinte einer der Besucher. Also darf man auf die Fortsetzung gespannt sein. Als Zugabe gab es schon einmal eine ungewöhnliche Kostprobe: den Schlußchor aus dem Oratorium »L’enfance du Christ« von Hector Berlioz.

7. Januar 2023, Wolfram Quellmalz

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