Zurück auf Anfang!

Weihnachtsoratorium in der Herz-Jesu-Kirche Dresden

Zwischen Windsbach und Dresden scheint eine musikalische Achse zu bestehen, unsichtbar wie die Erdachse, aber doch fest und beständig. Vor nun fast 76 Jahren von einem Kruzianer (Hans Thamm) gegründet und in der Knabenchortradition geformt, wuchs der Windsbacher Knabenchor binnen kurzem zu einem der führenden Ensembles. Zuletzt wurde er von Martin Lehmann geführt, einem ehemaligen Kruzianer, der in der Ära Martin Flämig aufgewachsen ist, und vor Beginn dieses Schuljahres als Kreuzkantor nach Dresden zurückkehrte. Doch sein Wirken war an der Elbe bereits seit einigen Jahren zu spüren, namentlich durch junge Dirigenten wie Justus Merkel, die an die Dresdner Hochschule für Musik zu Hans-Christoph Rademann kamen, um sich selbst als Chordirigenten ausbilden zu lassen. In der Kantatenreihe der Hochschule ist seit einiger Zeit ein weiterer zu erleben: Richard Stier, der nicht nur durch spannungsgeladene Interpretationen auffiel (zuletzt am 20. Dezember in der Matthäus-Kirche), sondern die eigenen Erfahrungen nun als Chorassistent bei den Dresdner Kapellknaben an die nächsten Generation weitergibt.

Herz-Jesu-Kirche, Photo: Wikimedia commons

Und »nebenbei« noch ein Weihnachtsoratorium auf die Beine stellt. Natürlich ist »nebenbei« vollkommen abwegig, gilt allenfalls dahingehend, daß es sich um keine Lehrveranstaltung und kein Prüfungsdirigat handelte. Ein viertel Jahr lang hat Richard Stier seine Kommilitonen begeistert, motiviert und angefeuert, um mit ihnen am Sonntag nach Epiphanias noch einmal Bachs Weihnachtsoratorium in der Dresdner Herz-Jesu-Kirche erklingen zu lassen – da kamen nicht nur der aktuelle Dirigierprofessor, sondern auch der ehemalige Chorleiter aus Windsbach (der den zweiten Teil des Werkes gerade am Vortag in der Kreuzkirche dirigiert hatte [NMB berichteten: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/01/11/kantaten-vier-bis-sechs-mit-himmlischen-hohepunkten/%5D, um das im Publikum mitzuerleben.

Nicht nur die Kantaten vier bis sechs wie zu Beginn des neuen Jahres oft üblich, sondern auch die erste waren in der Herz-Jesu-Kirche zu hören. Studentinnen und Studenten der HfM Dresden stellten Chor und Orchester, als Solisten waren Alina König Rannenberg (Sopran), Anna-Maria Tietze (Alt), András Adamik (Tenor) und Gerry Zimmermann (Baß), außerdem Marlene Walther (Echosopran) zu erleben. Ihre Namen sind ebenfalls bereits bekannt, aus Dresdner Aufführungen, Vespern oder eben der Kantatenreihe.

Nur einen Tag nach dem Kreuzchor gelang Richard Stier eine eigene Interpretation, die keinen Vergleich scheuen muß, sondern für sich selbst bestehen kann – um so schöner, da wir nach zwei mißglückten oder beeinträchtigten Weihnachtsfesten doch dabei waren (und sind), vieles verpaßte nachzuholen. Und so fühlte man sich bei »Jauchzet, frohlocket« sogleich wieder zurückversetzt auf einen 25. Dezember. Die Emphase und Euphorie der Studenten war dabei weder gekünstelt noch übertrieben – wer hinreißen will, darf selbst nicht zu hingerissen sein. Gerade hierin zeigt sich eine frühe Begabung des Dirigenten: Emotionen zu vermitteln, die Beteiligten zu begeistern, aber eben nicht im Überschwang zu versinken, sondern die Kontrolle zu behalten. Und loszulassen, denn Kontrolle mit Zwang führte zu einem statischen Eindruck.

Davon konnte aber keine Rede sein! Ausgewogen gelangen die Chor-und Solopassagen, sehr schön der Wechsel von Orchesterund Basso continuo, wobei derselbe ohne Fagott auskam (dafür drei tiefe Streicher) und die Orgel manchmal vom filigraneren Cembalo (wie im Choral »Ich steh an deiner Krippe hier«) abgelöst wurde. Sehr schön gestaltet waren auch die Choräle, die als kontemplative Schwerpunkte in den Kantaten inhaltliche »Eckpfeiler« setzten.

Bachs Weihnachtsoratorium schien somit selbst vom Weihnachtswunder angerührt, etwa wenn die »Ehre« (Beginn der fünften Kantate) durch »Freude« gleichgesetzt werden konnte. Den Eingangschor hatte Richard Stier fast nahtlos an den Schlußchoral der vierten Kantate gesetzt und damit dramaturgisches Geschick bewiesen.

Unter den Solisten erwiesen sich vor allem András Adamik als flexibel zwischen Evangelisten– und Arienpartien, außerdem Maria Tietze, die mit großer Ausgewogenheit gestalten kann, was auch Rezitativen oder der Mitwirkung im Terzett wohltat. Darüber hinaus konnten die Instrumentalisten nicht nur überzeugen, sondern (Trompeten) jene Überhöhung beifügen, die ein Weihnachtsoratorium braucht oder die einfach dazugehört, selbst wenn es bereitskurz nach dem zentralen Teil des Weihnachtsfestes aufgeführt wird.

9. Januar 2023, Wolfram Quellmalz

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