Kantaten vier bis sechs mit himmlischen Höhepunkten

Weihnachtsoratorium mit dem Dresdner Kreuzchor

Manchmal hat man mehr davon, wenn man »die Kirche im Dorf« oder das Weihnachtsfest im Kalender läßt. Nicht nur in Dresden ist es üblich, das Weihnachtsoratorium in zwei Abteilungen zu präsentieren – die Kantaten eins bis drei werden im Advent gespielt, vier bis sechs im neuen Jahr. In der bereits mit vielen Weihnachtsattributen überladenen Adventszeit gibt es auch beim Dresdner Kreuzchor drei Aufführungen des ersten Teils, im Januar genügt für den zweiten dann ein Abend. Eigentlich schade – zwei Drittel der Besucher aus dem Dezember haben einen Tag nach Epiphanias, dem Ende des Weihnachtsfestes, eine großartige Aufführung verpaßt – schade! Zugegeben, die Erwartungs- oder Vorfreudestimmung ist im Advent tatsächlich eine andere als kurz nach dem Jahreswechsel, aber (wichtig fürs nächste Jahr, merken!): die Kantaten vier bis sechs sind nicht nur für die Zeit zwischen Neujahrstag und 6. Januar geschrieben, sie enthalten auch zahlreiche Höhepunkte des ganzen Werkes, manche sagen gar, die schöneren Arien im Weihnachtsoratorium.

Photo: Kreuzkirche Dresden

Am vergangenen Sonnabend zur Vesperzeit nahmen sie gleich mit dem ersten Chor gefangen. »Fallt mit Danken, fallt mit Loben« war traditionell bereits Teil der Silvestervesper des Kreuzchores, schon da konnte man sich erneut überzeugen, auf welch hohem Niveau der Chor derzeit singt. Kreuzkantor Martin Lehmann hatte seit seiner Vertragsunterzeichnung stets betont, wie wichtig ihm die Musicae sacrae sei – dieses Versprechen hat er ohne Abstriche umgesetzt. Neben der sanglichen Qualität zählen dazu inhaltliche Bedeutung, Offenheit, Hinwendung – bereits die Zeile »Fallt mit Danken, fallt mit Loben« führte dies vor Ohren, geht es hier doch nicht um einen »Fall« im Sinne eines Sturzes, sondern eines vertrauensvollen Sich-fallenlassens. Immer wieder gelangen dem Chor solche authentische Bezüge, nicht durch darstellerische Mittel erzwungen, sondern einer inneren Stimme entsprechend. Die dramaturgischen Mittel gab es extra, feine Betonungen ebenso wie effektvolle dramaturgische Kniffe. Wenn es im Schlußchor heißt: »Tod, Teufel, Sünd und Hölle sind ganz und gar geschwächt«, klangen diese Worte auch gedämpft und leiser. Manche der Choräle (»Dein Glanz all Finsternis verzehrt«, »Zwar ist solche Herzensstube« / Kantate 5), hätten aber – wegen des Innehaltens der Andacht – im Tempo ruhiger ausfallen können.

Auch seitens der Instrumentalisten und Solisten läßt sich das Lob über die Aufführung erweitern. Die Musiker der Dresdner Philharmonie mit den Konzertmeistern Heike Janicke (1. Violinen) und Markus Gundermann (2. Violinen) begeisterten mit dem Ausdruck vielfarbiger Verve, sorgten aber mit Kreuzorganist Holger Gehring und Gast-Lautenist Stefan Maass auch für einen fein timbrierten Basso continuo. Der Baß war hier keine schlichte Untermalung, sondern hatte sinnliche Qualität. Mit Marie-Sophie Pollak (Sopran), Elvira Bill (Alt), Georg Poplutz (Tenor) und Andreas Wolf (Baß) stand ein stabiles Solistenquartett zur Verfügung, das gerade in den Ensemblenummern bewies, wie eng es zusammenwachsen konnte. Und das, obwohl manche in ihren Arien individuell sehr verschieden wirkten, wie der brillante, glasklare Sopran von Marie-Sophie Pollak, der die warme, schmiegsame Altstimme von Elvira Bill gegenüberstand. Georg Poplutz hat sich als Evangelist längst etabliert und trat immer wieder prägnant hervor, auch er wußte den Erzählerteil dramaturgisch auszumalen. In seinen Arien fehlte ihm dieser Glanz allerdings ein wenig.

Das »halbe« Weihnachtsoratorium schien als ganzes Stück geschlossen, dennoch ragten einige Glanzpunkte daraus hervor. Dazu zählte die »Echo-Arie« mit Marie-Sophie Pollak und Kruzianer Joel Necker, der von der linken Empore sang, während auf der rechten die Oboe von Guido Titze das Echo für Solisten Undine Röhner-Stolle darstellte. Höhepunkt und Kernstück aber war der Choral »Ich steh‘ an deiner Krippen hier«, vom Kreuzchor a cappella dargeboten – das ging nicht nur unter die Haut, es traf die Seele. »Unerhört« war dies und meint – ganz unaufgeregt – das einmalige, bisher (so) noch nicht gehörte. Großartig!

8. Januar 2023, Wolfram Quellmalz

In der Kreuzchorvesper am kommenden Sonnabend wirken künftige Kruzianer der 2. und 3. Klasse sowie der Lukaskurrende (4. Klasse) mit. Leitung: Kreuzkantor Martin Lehmann, Orgel: Kreuzorganist Holger Gehring, Liturg: Pfarrer Holger Milkau

http://www.kreuzkirche-dresden.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s