Beflügelnd!

Frank Peter Zimmermann und David Afkham im Konzert mit der Sächsische Staatskapelle

Recht kurzfristig hatte der ursprünglich für das Sinfoniekonzert mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden geplante Dirigent Daniel Harding absagen müssen. Mit David Afkham änderte sich nach der Pause das Programm: statt Sibelius gab es die vierte Sinfonie von Franz Schmidt und damit seit langer Zeit wieder einmal eine Wiederbegegnung – Fabio Luisi hatte den Österreicher einstmals im Programm der Kapelle etablieren wollen und unter anderem »Das Buch mit sieben Siegeln« in der Frauenkirche aufgeführt, nach dem Bruch zwischen ihm und dem Orchester jedoch verschwand Franz Schmidt zunächst aus dem Programmkalender.

David Afkham und Frank Peter Zimmermann im Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle, Photo: Sächsischen Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Das nicht nur im Umfang größere Werk fand jedoch wohl vor der Pause statt (das wäre bei Jean Sibelius wohl ähnlich gewesen). Edward Elgars Violinkonzert Opus 61 h-Moll ist wiewohl nur etwa zehn Jahre vor seinem viel berühmteren Cellokonzert entstanden, das ungleich raffiniertere, aufwühlendere, einfallsreichere – man fragt sich, warum die beiden Werke so unterschiedlich in Konzert- und CD-Programmen verankert sind. Mit 50 Minuten erreicht es mühelos sinfonische Ausmaße, nach dem Matinéekonzert am Sonntagmorgen möchte man ihm beinahe noch das Attribut schwerelos hinzufügen, nicht nur, weil im luftigen ersten Satz plötzlich ein verirrter, von Vorfrühlingsgefühlen geweckter Schmetterling durch das Konzertzimmer gaukelte.

Franz Peter Zimmermann fand für das spätromantische Werk einen sehr weichen Ton, den er organisch mit dem Orchester verwob – oft drehte er sich zu den Orchestergruppen und nahm direkten Kontakt auf, statt sich allein auf den Dirigenten zu verlassen. Fast wie ein Konzert für Viola beginnt Elgars elegantes Stück, dem es trotz des weichen Tons (den das Orchester erwiderte) und ohne ein hervorgehobenes dialogisches Prinzip nicht an Konturen fehlte – statt solistischer Bläser setzt Elgar oft ganze Gruppen ein und verwebt sie mit dem Ton des Solisten. Dort, wo das Cellokonzert leicht zu süß wird (wenn nicht schlimmer), bleibt im Violinkonzert durchgehend ein melodischer Fluß bestehen. Der sinfonische Charakter wird zudem durch lange Orchesterpassagen betont.

Franz Peter Zimmermann hatte dennoch Gelegenheit, virtuos hervorzutreten. Behend kletterte sein Bogen in Sprüngen und Läufen über die Saiten, für den noblen Parcours gab es nach dem ersten Satz erstaunten Zwischenapplaus. Im zweiten trat der Solist nun mehr hervor, streichelte zärtlich die Stradivari und ließ ein Andante-Lied erklingen, während das Orchester ihn nicht laut, sondern mit einem weiten, tragfähigen, wiewohl leichten Klang umfing. Im dritten Satz, nun Allegro molto gesteigert, versteckte sich noch ein melancholisches Solo – vielleicht der bezauberndste Moment. Eine Zugabe hätte sich mancher gewünscht, angesichts der Länge war aber verständlich, daß es am Sonntagmorgen keine gab.

Denn mit Franz Schmidts Sinfonie im Normalmaß wurde es auch so ein langes Konzert. David Afkham dirigierte erstaunlicherweise ohne Stab, erstaunlich deshalb, weil er so zwar sorgsamer leiten konnte und rechts fünf Fingerspitzen zum Zeigen hatte statt nur eines Stabes, doch für so großbesetzte Werke ist eine stringente Führung oft besser, um dramaturgische Spitzen auszufeilen.

Franz Schmidt hat in seiner vierten Sinfonie persönliche Erlebnisse, den schmerzlichen Verlust seiner Tochter zum Beispiel, verarbeitet. Trotz des teils ernsten Charakters jedoch ist sie kein reiner Trauergesang. Ganz anders als die raffinierte Vielteiligkeit Elgars lebt die Sinfonie vom Wandel, einer strömenden Umgestaltung, was bis zu den attacca geschlossenen Sätzen reicht. Vor allem diesen Strom stellte David Afkham sehr schön dar, unter diesem Fluß blieb ein immerwährender Puls hörbar. Nur hin und wieder ragte daraus ein Solo hervor, wie der Harfe. Führend jedoch hatte die Trompete (Sven Barnkoth) das Werk – vom Dirigenten mit einer Bitte per Hand eingeladen – eröffnet, er durfte die Sinfonie auch beschließen, nachdem kurz zuvor Zoltán Mácsai (Horn) übernommen hatte. Die Ernsthaftigkeit und Ruhe hatten offenbar den Schmetterling angeregt, der nach einem kurzen Ausflug ins Konzertzimmer zurückgekommen war.

7. Januar 2024, Wolfram Quellmalz

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