Keine Rettung für Mimì

Puccinis »La bohème« an der Staatsoperette Dresden

»Revue – Musical – Operette – Performance« nimmt die Staatsoperette Dresden für ihr Repertoire in Anspruch. Oper gehört aber auch dazu. Während man Mozarts »Zauberflöte« dem Haus ohne weiteres zuordnen kann, fragt sich bei Giacomo Puccinis »La bohème«, ob das Stück denn hier so gut aufgehoben ist. Denn lustig ist es ja nicht, sondern eine der tragischsten Opern überhaupt. Und was hat die Staatsoperette zu bieten, das so anders ist als die »La bohème« an der Semperoper?

Zunächst einmal: in der neuen Inszenierung, die am Wochenende Premiere feierte, wird deutsch gesungen. Das erleichtert den Zugang zum Text, schränkt aber den einzigartigen Eindruck einer »Italienità« ein. Matthias Reichwald, Schauspieler des Staatstheaters, liefert damit eine weitere Regiearbeit ab – und soll künftig noch stärker in diese Rolle rücken.

SCHLENDRIAN UND VOLKSTÜMLICHES GETÜMMEL

Es ist ja fast ein Anachronismus: Zu Weihnachten kommt »Hänsel und Gretel« auf den Spielplan, das mit Weihnachten so rein gar nichts zu tun hat, und »La bohème« hat im Juni Premiere, dabei beginnt und endet es jeweils an einem Heiligabend. Andererseits will man gerade den vielleicht nicht zwingend mit dem Tod Mimìs verbinden.

Mimì (Premierenbesetzung: Christina Maria Fercher), Chor der Staatsoperette, Photo: Staatsoperette Dresden, © Pawel Sosnowski

Auch der Dichter Rodolfo (am Sonntag in der zweiten Vorstellung Timo Schabel), der Maler Marcello (Hinrich Horn), der Musiker Schaunard (Markus Liske) und der Philosoph Colline (Elmar Andree) wollen ihn lange nicht wahrhaben. Oder liegt es an ihrem realitätsfernen Bohème-Leben? Wie eine etwas in die Jahre gekommene Männer-WG hausen sie in einer Dachkammer, frotzeln und necken sich, und wenn mal ein wenig Geld hereinkommt, legen sie es nicht zurück oder zahlen Schulden ab – sie feiern. Nun gut, am Weihnachtsabend mag man es ihnen zugestehen.

Das Operettenquartett bringt gerade die Defizite der vier deutlich zum Vorschein, die Unfähigkeit, zu erkennen, daß es »so ja nicht ewig weitergehen kann«. Auf deutsch fallen manche Textzeilen freilich deftiger aus (»ich friere säuisch«), die Nonchalance, die sich aus der italienisch gesungenen französischen Szenerie ergibt, geht dabei verloren, aber das ist ganz offensichtlich so gewollt. Nicht ganz unpassend rückt das Stück damit manchmal ein wenig in die Nähe volkstümlichen Ulks oder des Vaudeville-Theaters. Und die eine oder andere lebensphilosophische Erkenntnis wirkt einfach klarer: »Die Liebe ist ein Ofen, der alles auffrißt«.

IN SCHÖNHEIT STERBEN

Die Hauptfiguren oder Hauptleidenden Rodolfo und Mimì sind oft die undankbareren Rollen, während Marcello und Musetta als alternatives Paar leichter glänzen kann. Hinrich Horn schlüpfte am Sonntag mühelos in die Maler-Rolle, auch wenn ihn Matthias Reichwald im dritten Bild zum Anstreicher degradiert (eigentlich malt er die Wände eines Gasthofs mit Bildern aus). Es »leicht nehmen« gelingt Marcello und Musetta (Charlotte Watzlawik) scheinbar leicht. Musetta im schicken Kleid und mit roten Haaren sprüht geradezu vor Lebensfreude, sie wie Marcello ist letztlich vielleicht die lebensklügste der Gruppe und ahnt Mimìs Ende zuerst.

Rodolfo (Timo Schabel) gibt Mimì (Besetzung vom Sonntag: Steffi Lehmann) Feuer, Photo: Staatsoperette Dresden, © Pawel Sosnowski

Timo Schabels Rodolfo konnte zunächst nicht derart glänzen, auch stimmlich nicht, fand aber nach und nach in immer bessere Form und vor allem Ausdruck für die Rolle. Allerdings verleitete Chefdirigent Johannes Pell das Orchester der Staatsoperette zu einem etwas überdimensionierten Klang, der spätestens, wenn die Blechbläser einstimmten, im Tutti zu viel über die Bühne fegte, was es zusätzlich erschwerte. Doch auch innerhalb des Quartetts verfügte Timo Schabel über weniger Leuchtkraft.

Steffi Lehmann als Mimì gelang der Balanceakt zwischen Schönheit und Leiden. Zwar mag ihre aufwendige (kostspielige) Frisur nicht ganz zur Rolle passen, daß Matthias Reichwald sie aber schon früh über der Bühne zuschauen läßt, verdeutlicht, daß ihr Kennenlernen mit Rodolfo kein Zufall, sondern beabsichtigt ist und sie mehr als nur ein kleines Lichtlein von ihm zu entzünden wünscht.

Abgesehen davon bleibt die Inszenierung mit ihren Ideen aber konventionell und eher unauffällig. Die großen Szenen mit Chor und Kinderchor wirken auf der kleinen Bühne dichtgedrängt, die beiden Hauptnebendarsteller, Benoît (Andreas Sauerzapf) und Alcindoro (Gerd Wiemer) fehlt der Raum, den kurzen, aber wichtigen Auftritt groß zu entfalten oder ihm ein gewitztes Extra mitzugeben. Eine Schoß-Szene zwischen Mimì und Rodolfo wirkt eher angespannt als frei.

Bohème-Quartett: Schaunard (Markus Liske), Colline (Elmar Andree), Marcello (Hinrich Horn) und Rodolfo (Timo Schabel), Chor und Kinderchor der Staatsoperette, Photo: Staatsoperette Dresden, © Pawel Sosnowski

In Sachen Ausstattung (Bühne: Karoly Risz, Kostüme: Toto) und Verständlichkeit kann die Inszenierung nicht nur Punkte gewinnen, sondern ein eigenes Publikum ansprechen, also ein solches mit weniger Opernerfahrung. Schrifttafeln schlagen die Brücke zwischen den vier Bildern, manches Extra, wie die Frau des Vermieters (seine »Alte«), die den Mann mit der Bratpfanne erwartet, passen eher zum Boulevard als zu Bohème, fügen sich letztlich aber stimmig in die Stückauffassung der Staatsoperette.

Was das traurige Ende nicht hindert, das auch hier berührt: Bis zuletzt gibt sich Rodolfo der Hoffnung hin, daß Mimì zu retten sei – und ist der letzte des Bohème-Quartetts, der ihren Tod realisiert.

4. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

Giacomo Puccini »La bohème«, Staatsoperette Dresden, weitere Vorstellung im Juni. In der nächsten Spielzeit im Repertoire.

https://www.staatsoperette.de

Hinterlasse einen Kommentar