Orgel mit Zusatzregister

Martynas Levickis und Iveta Apkalna in der Marienkirche Pirna

Es ist schon ein paar Jahre her – 2010 stand Iveta Apkalna noch am Beginn einer Karriere, welche sie mittlerweile zur Titularorganistin der Elblandphilharmonie befördert sowie an sämtliche bedeutende Konzertorgeln in Weiwuying, Neubrandenburg, Paris und auch Dresden geführt hat. Damals, im zweiten Jahr der Intendanz von Jahr Vogler bei den Dresdner Musikfestspielen, gab es Jahresmottos, die noch einen Schwerpunkt bildeten, wie »Rußland« – ja, damals konnte das noch sein. Für die Silbermann-Orgel der Hofkirche hatte die Organistin [2010] ein Programm mit Johann Sebastian Bach und Pēteris Vasks, aber auch Bearbeitungen Prokofjew (»Die Liebe zu den drei Orangen«) und Schostakowitsch (»Lady Macbeth von Mzensk«) zusammengestellt.

Seither ist ihre Fangemeinde gewachsen, für manche wurde es am Donnerstag aber knapp, rechtzeitig in die Marienkirche nach Pirna zu kommen, denn wegen eines Personenunfalls fiel die S-Bahn aus. Letztlich schien im Kirchenschiff aber nur wenige Plätze freigeblieben zu sein.

Dank Videoleinwand auch Sichtbar: Iveta Apkalna (Orgel) und Martynas Levickis (Akkordeon) beim Spiel, Photo: NMB

Für ihren Auftritt hatte sich die Lettin einen anderen Balten als Partner ausgewählt, den in Litauen geborenen Akkordeonspieler Martynas Levickis. Der hat nach dem Gewinn eines Casting-Wettbewerbs (!) ein Album aufgenommen und ebenfalls eine rasante Karriere absolviert. Allein der Begriff Casting-Wettbewerbs stimmt manchen bedenklich, auch erweisen sich manche Instrumente, gerade Akkordeon, Saxophon oder Marimbaphon, für den einen als exotisch-modisch, für den anderen bald als nervig. Doch die erste »Entwarnung« gab es beim Blick in die Vita – immerhin hat Martynas Levickis an der Royal Academy of Musik in London studiert. Also meint er es ernst und kann wohl wirklich etwas.

Ja, er kann. Er konnte es so gut, daß sein Akkordeon (trotz manchmal nicht ausgewogener Verstärkung) sich nicht als enervierende Solostimme vor die Orgel drängte, sondern es einen dialogischen Austausch mit Iveta Apkalna gab. Manchmal verschmolzen beide so sehr, daß das Akkordeon wie ein Register der Orgel klang – was will man mehr?

Das Programm bot in geläufiger Dreieinigkeit klassische Stücke, baltische Mitbringsel und einen Eigenanteil des Akkordeonisten.

Antonio Vivaldis »Winter« und »Sommer« boten einen effektvollen Rahmen, der nicht nur im »Winter« eher aufregend als frostig klang. Das Leinwandbild erlaubte dabei vertiefte Einblicke, wie sich ein ganzes Orchester auf die vier Stimmen (Hände und Füße) der Organistin aufteilte und dann mit dem Solisten verband.

Mit zwei Ausnahmen waren alle Stücke des Programms Bearbeitungen, jedoch höchst unterschiedliche. Während bei Vivaldi die Orgel Orchester spielte, gab sie für Léon Boëllmanns Suite gothique Register ab. Schon im ersten Satz gelang die Wechselwirkung von Thema und Echo besonders innig, im zweiten schienen beide Instrumente fast wie eines, bevor das andächtige Pièce de Notre-Dame als Melodie bzw. Choral (Akkordeon) mit Begleitung erklang. Die abschließende Toccata überraschte mit ihrem luftigen Charakter.

Am Ende auch »echt« zu sehen: Iveta Apkalna und Martynas Levickis, Photo: NMB

Ähnlich »verbindlich« geriet Philip Glass »Mad rush«, das in seinen Variationen der immer gleichen Sequenz, die jedoch einmal ruhig, einmal beschleunigt in beiden Instrumenten aufschien, ein erstaunliches Spektrum aufspannte. Freilich verliert sich bei Minimal music irgendwann die Spannung bzw. geht dem Stück (nicht den Spielern) die Luft aus. Trotzdem fand sich bei Glass mehr Reiz als im zweiten Satz aus Wolfgang Amadé Mozarts Klavierkonzert Nr. 21. Das Andante, einer der bekanntesten Sätze Mozarts überhaupt, konnte in der Bearbeitung wahrscheinlich nur verlieren. Im Charakter schien es eher verwaschen denn prägnant, auch wenn sich hier hören und beobachten ließ, daß es beim zweihändig gespielten Akkordeon ebenso eine Begleitstimme gibt, die ein Fagott (oder Fagott-Register der Orgel) imitierte.

Da war Martynas Levickis‘ eigener Beitrag, »Beauštanti aušrelė« (»Einbrechende Morgendämmerung«), das er solo spielte, deutlich reizvoller, zumal es sich mit seinen schnellen Anfangsbewegungen scheinbar direkt bei Philip Glass anschloß. Iveta Apkalna hatte für ihr Solo einen anderen Landsmann ausgewählt: Alfrēds Kalniņš Phantasia in g-Moll war die sicher klassischste Bereicherung im Original.

Buchtip: »Lied vom Spaziergang«, Gedichte aus Litauen, übersetzt von verschiedenen Autoren, darunter der ehemalige Dresdner Stadtschreiber Uwe Kolbe, Verlag Das Wunderhorn, 26,00 Euro

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