Gautier Capuçon beschließt Residenz bei der Dresdner Philharmonie
Im letzten regulären Konzert der Spielzeit gab es am Sonnabend im Dresdner Kulturpalast zwei Abschiede zu feiern: erstens ging die Residenz des Cellisten Gautier Capuçon zu Ende, andererseits war es der letzte Dienst für Matthias Bräutigam, der seit 1980 die Stelle als Koordinierter Solo-Cellist der Dresdner Philharmonie begleitet hatte.
Für den ersten Abschied hatte sich Gautier Capuçon der Verstärkung zweier Studentinnen versichert. Sarah Jégou-Sagemann (Violine) und Martina Consonni (Klavier) werden aktuell durch die Fondation Gautier Capuçon gefördert, einer Stiftung, die sich besonders um Studenten von Musikhochschulen (oder Konservatorien) kümmert, die auf dem Weg ins Berufsleben sind. Neben den ersten Karriereschritten stehen dabei auch besondere Projekte, etwa zur Fortsetzung ihres Studiums oder zur Spezialisierung innerhalb desselben, im Vordergrund. Im Konzert am Sonnabend waren Sarah Jégou-Sagemann und Martina Consonni gleichwertige Partner im Tripelkonzert von Ludwig van Beethoven.

Louis Langrée war ebenfalls schon mehrfach Gastdirigent des Orchesters gewesen und »überredete« die Dresdner Philharmoniker bereits früh zu einem emotionalen Spiel. Was sich schon anfangs in der Tutti-Rampe andeuete, sollte sich bis zum Ende des Abends erhalten. Die Rampe bereitete zunächst jenes Podium, welches Gautier Capuçon betrat. Zupackend, kräftig, fast zwingend, emotional überragend spielte der Franzose ein klein wenig die Hauptrolle des Trios, auch wenn dieses schnell zu einer Dreieinigkeit verschmolz. Sarah Jégou-Sagemann fand auf der Violine sanfte, flötenartige Klänge, die dem Cello zuzurufen schienen, Martina Consonnis Spiel war im Vergleich deutlich nachdrücklicher, darüber hinaus aber von einer sanften Perkussivität geprägt. Anders als schon oft erlebt, wenn sich drei Solistenstars in Beethovens Opus 56 treffen, bildeten die drei eine geradezu verschworene Gemeinschaft.
Der zweite Satz verbreitete vor allem Anfangs die Stimmung einer großen Mondscheinsonate, die jedoch frei von aufgesetzter Attitüde blieb. Im Gegenteil – der Dialog zwischen Solocello und der hinter dem scheidenden Solocellisten vereinigten Cellogruppe des Orchesters zeichnete vor allem den musikalischen Kontrast, vor dem Hintergrund des Abschieds leuchtete er um so schöner.
Die Bläser bereicherten Beethoven ebenso, wie das Klavier manche Effekte vor allem im Rondeau pointiert noch einmal steigerte. Schnelle Läufe und Bogenvibrato sorgten im Miteinander der drei Solisten mit dem Orchester für eine Frische wie in Schuberts »Forelle«.
Der Dresdner Philharmonie ist es schon mehrfach geglückt, aus der Auftrittsserie der Residenzkünstler einen anhaltenden Nachhall zu gewinnen. Man kann sich eigentlich nur wünschen, daß Gautier Capuçon noch oft wiederkommt. Ob als Solist oder Kammermusikpartner, ist fast gleich wichtig oder gleich wünschenswert. Johannes Brahms‘ Scherzo aus dem ersten Klaviertrio war mit Sarah Jégou-Sagemann und Martina Consonni hoffentlich nicht nur eine sommerliche Zugabe, sondern ein schöner Ausblick.
Nach der Pause galt die Aufmerksamkeit zunächst dem Wort, denn Matthias Bräutigam wurde von Intendantin Frauke Roth und dem Orchestervorstand herzlichst verabschiedet. Im beiderseitigen Dank ging nicht nur eine lange Dienstzeit zu Ende, sondern fast schon eine Ära – Orchestermusiker, die so lange und prägend, sozusagen als Rückgrat wirkend, zu erleben sind, ob es das künftig noch geben wird?

Frauke Roth wünschte Matthias Bräutigam für den nächsten Lebensabschnitt alles Gute und baute auf ein Wiedersehen – nun auf der Publikumsseite. Matthias Bräutigam bedankte sich dafür, aber auch bei allen Orchesterkollegen und dem Publikum. Das Musizieren sei für ihn nie »Arbeit« gewesen, sondern immer und immer wieder die Erfüllung eines Lebenstraums. Daß dieser zuweilen mit Streß und Ärger verbunden sei, gehöre dazu. Aber das Ergebnis allen Fleißes, Mühens und auch Ärgerns sei traumhaft, das solle sich jeder (auch im Publikum) erhalten, denn »Jede Note ist eine Kostbarkeit«.
Die Kostbarkeiten nach der Pause kamen von César Franck, dessen Sinfonie d-Moll auf dem Programm stand. Zsolt-Tihamér Visontay (als Gast) hatte an diesem Abend kurzfristig vom erkrankten Wolfgang Hentrich das Amt des Konzertmeisters übernommen und fand im Austausch mit Louis Langrée zu einer süffigen, farbenreichen Interpretation. Francks Sinfonie wartete mit leuchtender Chromatik und vielen Echos auf, die mal ganz wunderbar aus dem Hintergrund kamen (Horngruppe), sich dann in den Holzbläsern spiegelten. Im Zusammenspiel mit Harfe und Englischhorn, die zur Entstehungszeit (angeblich) für die Gattung ungewöhnlich waren und für despektierliche bis ablehnende Kommentare sorgten (was nicht heißt, daß man sich diesen Schuh wirklich »anziehen« muß), amalgamierte Louis Langrée mit der Dresdner Philharmonie immer wieder einen Klang, der unterschwellig an Francks Hauptinstrument, die Orgel, erinnerte.
So arbeitete der Dirigent im Verbund manches Detail heraus oder hob gesangliche Linien hervor, wie das an Brahms‘ Requiem erinnernde Thema im zweiten Satz, in dem außerdem die Violen zwischen ihren Pizzicato spielenden Streicherkollegen wie eine harmonische Chorgruppe verzückten. Im dritten Satz wurde die Stimmung noch einmal deutlich angereichert, geriet in dunkle Nähe zu Debussys »Pelléas et Mélisande«.
23. Juni 2024, Wolfram Quellmalz
In den kommenden Tagen spielt die Dresdner Philharmonie noch Familien- und Filmprogramm, dann geht sie in die Ferien. Doch schon früh im August kehrt sie mit drei Chorkonzerten (unter anderem Dresdner Kreuzchor) zurück, bevor am Monatsende mit Sir Donald Runnicles (Haydns »Die Uhr«, fünfte Sinfonie von Gustav Mahler 5) ein großartiger Saisonauftakt erwartet werden darf.