Rückblick mit wegweisenden Komponisten

Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle

Vor 170 Jahren gründeten Mitglieder der Sächsischen Hofkapelle den Tonkünstlerverein Dresden mit dem Ziel, sich nicht nur nebenbei, sondern verstärkt miteinander mit Kammermusik auseinanderzusetzen. Am Sonntagmorgen stand die Kammermatinée im Opernhaus ganz im Zeichen dieses Jubiläums, nicht durch äußerlichen Festglanz, sondern mit den im Programm verankerten Komponisten: Johann Georg Pisendel gehörte nicht nur zu den führenden Virtuosen der europäischen Musikszene im frühen 18. Jahrhundert, sondern war ein Dreh- und Angelpunkt, der für einen Austausch und eine Repertoirebereicherung gerade durch italienische Werke sorgte und bis hin zur Aufstellung der Musiker und Fragen der (gemeinsamen) Bogenführung zur Entwicklung des Orchesters beitrug. Paul Hindemith wurde im 20. Jahrhundert bald ständiger Gast in Dresden, neben seiner Oper »Cardillac« (Uraufführung in Dresden) und zahlreichen Orchesterstücken beteiligte er sich als Bratschist und Komponist an den Abenden »Neue Musik Paul Aron«. Über Robert Schumanns enge Verquickung mit der Stadt zu sprechem, sprengte nicht nur den Rahmen dieses Textes, sondern hieße wohl auch Eulen nach Athen tragen …

Das Violinkonzert B-Dur von Johann Georg Pisendel, von Musikern der Dresdner Kapellsolisten ausgeführt (die aus einem Kern der Sächsischen Staatskapelle hervorgegangen sind), erinnerte zunächst durchaus an Antonio Vivaldi, mit dem Pisendel eng befreundet war. Und das sowohl in der damals modernen Form des Werkes wie in seinem Gestus. Susanne Branny führte die Violine virtuos bis in die kleinen Kadenzen, doch war das Spiel nicht weniger vom erfrischenden Austausch mit dem Ensemble geprägt. So durfte sich im zweiten Satz das Moderato sanft entfalten, der wie das Allegro assai bereits auf die Musik der Empfindsamkeit zusteuerte – insofern lag der fortschrittliche Pisendel also näher an Carl Philipp Emanuel Bach als an dessen Vater, der eigentlich Zeitgenosse des Dresdner Kapellmeisters gewesen war und ähnliche Lebensdaten hatte.

Über die Kapelle verbunden: Johann Georg Pisendel, Paul Hindemith und Robert Schumann, Bildquelle: Wikimedia commons

Mit Paul Hindemiths Kleiner Kammermusik Opus 24 Nr. 2 betrat das Kapellquintett (Bernhard Kury / Flöte, Julius Rönnebeck / Horn, Christian Dollfuß / Klarinette, Andreas Börtitz / Fagott und Volker Hanemann / Oboe) die Bühne. Zu Pisendels Zeiten hätte man mit ihnen eine »Harmoniemusik« besetzt, doch nach dem Ersten Weltkrieg fand Hindemith zu einem klareren, kantigeren Ton, weitete den harmonischen Raum. Manch althergebrachte Bezeichnung scheint er geradezu zu karikieren, wie den »Walzer« an zweiter Stelle, der herrlich verdreht schien oder wie ein Bild, bei dem die Farbpallette surreal verrutscht ist. Die Harmonie enthielten Hindemith bzw. die Musiker dem Publikum jedoch nicht vor, der dritte Satz erinnerte mit seinem ostinaten Rhythmus an Ravels Boléro (der aber einige Jahre später entstand). Den vom Komponisten geforderten Effekten oder vielmehr Tücken, wie einem leisen Spiel, das wie hinter einem Vorhang klingen soll, kam das Kapellquintett mühelos nach. Oder lachten gar sie darüber? Julius Rönnebecks phantastisches Piano, durch Stopftechnik noch verfremdet, gelang märchenhaft!

Nach der Pause hielt das Klavierquintett Es-Dur Opus 44 von Robert Schumann, was sich wohl jeder davon versprochen hat: Inbegriff der Romantik, ein Meilenstein der Genreliteratur und gleichzeitig über die Grenzen hinausgehend. Lukas Stepp und Yuna Toki (Violine), Florian Richter (Bratsche) sowie Sebastian Fritsch (Violoncello) stellten das kapellseitige Streichquartett, welches mit Julius Asal als Gast am Klavier verschmolz.

Diese gegenseitige Zugewandtheit sorgte neben dem gemeinsamen Verständnis nicht zuletzt für eine umwerfende Sonorität, aus der einzelne Stimmen immer wieder ausbrechen durften. Selbst in kleinen Konturen durch Pizzicati (Lukas Stepp) im letzten Satz gewann das Werk, das sonst natürlich vor allem dem Klavier virtuosen wie melodischen Spielraum bietet. Doch auch das Violoncello durfte imme wieder wesentlich und kantabel hervortreten – ausgefeilte Stimmführung und Agogik waren hier gleichermaßen wichtig wie das stimmungsvolle, flexible Gesamtbild, in das die Viola nicht nur ihren goldenen Grundton einflocht, sondern auch (bzw. der Spieler) die Brücke zum Pianisten schlug.

Man braucht letztlich kein Feuerwerk, wenn ein Werk derart mit zwei Trios und einer Doppelfuge am Ende verziert ist! Das Festkonzert gab es trotzdem: abends als Wandelkonzert im Schloß (am 1. Juli noch einmal).

23. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

Wandelkonzert zum 170. Gründungsjubiläum des Tonkünstlervereins Dresden. 1. Juli, 19:00 Uhr, Residenzschloß / Kleiner Schloßhof

https://www.staatskapelle-dresden.de/konzerte/sonderkonzerte/2324/wandelkonzert/

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