Sonderkonzert der Staatskapelle vor den Schostakowitsch-Tagen
Was hat man nicht alles schon über, von und um Dmitri Schostakowitsch erfahren. Das Programmheft am vergangenen Mittwoch im Dresdner Kulturpalast zeigt ihn in der Uniform der Leningrader Feuerwehr (als Luftschutzwart während der Belagerung), der Bayerische Rundfunk präsentierte den Hörern kürzlich aber auch den Fußballfan: Schostakowitsch sei nicht nur ein glühender Verehrer von »Zenit Leningrad« gewesen und zu vielen Spielen gereist, er habe in jungen Jahren sogar eine Lizenz als Fußballschiedsrichter gehabt!
Allerdings entwickelt Dmitri Schostakowitschs Musik eine ungeheure Wirkung, die bis heute kaum Platz für anekdotisches läßt. Das war beim Konzert der Sächsischen Staatskapelle am Vorabend der 15. Schostakowitsch-Tage Gohrisch nicht anders. Im Gegenteil – die ungebrochen gefragte und vitale Auflage der Schostakowitsch-Tage hat in wenigen Jahren eine neue Tradition geschaffen, die an alte anknüpft: Die Sächsische Staatskapelle hatte sich früh den Werken Schostakowitschs zugewandt, sie aufgeführt. Ein Höhepunkt dürfte die Deutsche Erstaufführung der vierten Sinfonie 1963 unter Kirill Kondraschin gewesen sein, Jewgeni Swetlanow brachte die 13. und die 15. Sinfonie nach Dresden. Die Schostakowitsch-Tage Gohrisch setzen dies fort und präsentieren seit ihrer Gründung Uraufführungen von neuen Fassungen, aber auch neuen Werken.

Die siebente Sinfonie ragt aus dem Schaffen des Komponisten noch einmal deutlich heraus, ist in der Bedeutung vielleicht vergleichbar mit der fünften. Die Sächsische Staatskapelle hatte sich entschieden, das knapp eineinhalbstündige Werk allein aufs Programm zu setzen. Freilich mußte das Orchester – schon wieder! – eine Dirigentenabsage hinnehmen, so daß sich mancher fragte, ob denn da »der Wurm drin« sei. Aber gegen krankheitsbedingte Verhinderung, wie diesmal von Tugan Sokhiev (der selbst in einem Ringtausch das Silvesterkonzert übernommen hatte), ist man nicht gefeit. Es erfreute um so mehr, daß sein Ersatzmann, Vitali Alekseenok, kein »Mangelgefühl« hinterließ.
Das Programmheft hatte auf die Labyrinthe der Auslegung in der »Leningrader Sinfonie« und den zeitgenössischen Kritiker Valerian Bogdanow-Beresowsky verwiesen, der statt eines »Eindrucks« von einer »erschütternden Erfahrung« sprach. Vitali Alekseenok hob die in Affekten verankerte Leidenschaft deutlich heraus, ohne jedoch im Übermaß einen heroischen Ton anzustreben. Vor allem imponierte, daß ihm bei diesem doch gewaltigen Werk mit seiner überdimensionalen Anlage und der üppigen Besetzung mit (integriertem) Fernorchester, Klavier und vielen Schlagwerken eine differenzierte Darstellung gelang, in welcher die Stimmen klar leuchten, schimmern oder auch einmal durchsickern konnten. Das schloß ein, daß die »Leningrader«, wie gerade am Beginn, einen regelrechten Sound erzeugte.
Am beeindruckendsten ist wohl für jeden der erste Satz, der mit seinem ostinaten Thema jedoch nichts Tänzerisches oder Lustvolles entwickelt, sondern emotional in entgegengesetzter Richtung die Bedrohlichkeit wachsen läßt. Und doch war es nicht allein ein kontinuierliches Anwachsen – zwischendrin zeichnete eine zarte Flöte (Sabine Kittel) Frieden und Idyll. Das Thema setzte sich danach nicht nur in vielen Soli fort, sondern fand zum Duett zwischen Fagott und Oboe. Auf den Kopf gestellt schien es in den Streichern bedrohlich – im Schlußsatz knüpfte Schostakowitsch hier später an. Wohin das alles wächst, die Frage drängte sich (neu) auf – Apotheose? Ekstase? Lösung? Wieder einmal, als selbst die Bogenbewegung zackig wurde wie ein Marsch, erwies sich die Satzbezeichnung Allegretto als trügerisch.
Nichts zerfiel hier, es war eine organisierte Beruhigung oder Auflösung mit der fernen Trompete, die »gemach, gemach« zu rufen schien, einem Fagott, das in der Dunkelheit tastete. Dieses »gemach« oder »sachte, sachte«, vielleicht war es Schostakowitschs Antwort, die er so gern musikalisch »moderat« den aufgewühlten Zeiten entgegensetzte. Von Pizzicati umrahmte, gedämpft klingende Bläser, ein langes Oboen-Solo (Céline Moinet) schufen eine Überleitung. Dann, im Sarabanden-Teil des letzten Satzes, ließ die Spannung doch einmal nach, bevor sich die Musik neu erhob, Schostakowitsch den Faden des Anfangs wiederaufnahm.
Diesen Schluß ließ Vitali Alekseenok nicht allein optimistisch, sondern mit Gewißheit leuchten. Wie auferstanden, wie eine Huldigungsmusik, spielten die Blechbläser das Finale im Stehen und wurden danach ekstatisch bejubelt.
27. JUni 2024, Wolfram Quellmalz