Streichquartette (Teil 1) auf Schloß Waldenburg
Im Blauen Saal des Schlosses Waldenburg trafen am Sonntag nicht nur Musiker der Sächsischen Staatskapelle mit Wolfgang Amadé Mozart und Alexander Borodin zusammen, hier verbanden sich auch (wieder) historische Linien. Denn die Fürsten Schönberg standen mit der Sächsischen Hofkapelle und Musikern wie Theo Bauer (damals im Kapellvorstand) im engen Kontakt und waren so an der Verpflichtung von Chefdirigent und Operndirektor Fritz Busch vor einhundert Jahren beteiligt. Die enge Freundschaft zu Fritz und Grete Busch sollte über Jahrzehnte Bestand haben.
Ein wenig Geschichte ist also immer im Hintergrund, wenn im Blauen Saal zu Schloß Waldenburg Musik erklingt. Am Sonntag war jenes Quartett zu Gast, das die derzeit jüngste Generation der Sächsischen Staatskapelle vertritt und sich nach Fritz Busch benannt hat. Die Stammbesetzung mit Tibor Gyenge (zweite Violine), Michael Horwath (Viola) und Titus Maack (Violoncello) war wegen eines Ausfalls am Morgen noch ganz kurzfristig durch Lukas Stepp (Konzertmeister zweite Geigen) ergänzt worden, weshalb die Einspielzeit bis kurz vor Konzertbeginn genutzt wurde. Eine weitere Änderung: Tibor Gyenge übernahm bei zwei der vier Quartette die Führung (sonst spielt das Fritz-Busch-Quartett mit festen Positionen). Doch abgesehen vom Wechseln der Plätze hat das vermutlich kaum jemand gemerkt.
Dabei hatten sich die vier Musiker drei Werke vorgenommen, die so naheliegend scheinen wie selten gespielt werden: ausgerechnet Mozart – seine Quartette sind wirklich wenig in den Konzertprogrammen zu finden. Viele Ensembles ziehen effektvollere Stücke vor als den schwierigen, anspruchsvollen Mozart. Denn leicht klingt er nur!
Was einer so schreibt, wenn ihm langweilig ist, hatte Tobias Teumer vom Veranstalter bemerkt, und auf die Entstehungszeit der Quartette G-Dur (KV 80), D-Dur (KV 155) und G-Dur (KV 156) verwiesen. In Lodi (KV 80) bzw. Bozen und Mailand sind sie entstanden, als das junge Genie Mozart mit dem Vater durch Italien reiste. Zwischen vierzehn und siebzehn Jahren war er alt, und wäre ihm in Mailand eine schöne Flötistin begegnet, würde vielleicht manches Mißverständnis um gehaßte Instrumente gar nicht entstanden sein. Indes: wäre, hätte, könnte …
Auf Möglichkeiten wollte sich das Fritz-Busch-Quartett sicher nicht einlassen, was schon die bis zuletzt ausgenutzte Probenzeit bewiesen hatte. Langeweile? Sehnsucht sprach aus dem Andante KV 80, in dem sich das Thema erst fugiert ausbreitete und bald in den Instrumenten »kreuzte« oder diese zum Paarlauf fanden. Beherzt schritten die Musiker durchs Menuett, dessen Trio. Doch noch mehr Kontrast bot der Schlußsatz mit seinem mysteriösen Mittelteil.
Die beiden folgenden Quartette, keine reinen Schwestern, aber sich doch nahestehend, folgten dem ersten in ihrer Beherztheit nach. Wobei das Andante in KV 155 mit seiner besonderen Kantabilität bezauberte, harmonisch die Seele streichelte, während KV 156 vor allem von einem tänzerischen Schwung geprägt war. Mozarts Presto gehört wohl zu den tänzerischsten der Musikgeschichte – nicht immer nimmt man ein Schloß im Sturm …
Dem Adagio (KV 156) wohnten bereits romantische Züge inne, die Lukas Stepp, Tibor Gyenge, Michael Horwath und Titus Maack mit einem Nur-wer-die-Sehnsucht-kennt-Gestus herausstrichen.
Wie anders sich Musik anfühlt, die gut einhundert Jahre später entstand, erfuhren die Gäste nach der Pause. Alexander Borodins Streichquartett Nr. 2 entstand auch nicht in Mailand (oder Waldenburg), sondern nahe Moskau. Musik und Farbe in Fülle sowie ein reiches Vibrato legten sich fast direkt auf den Puls der Zuhörer. Wo bei Mozart noch luftige Frische geherrscht hatte, entstand nun eine hüllende Tiefe. Die Pizzicati der Viola glichen den Regentropfen, die hinter der Terrassentür schwer auf dem Boden platzten. Und wer bei Mozart an Seide und Spitze gedacht hatte, mußte hier zu Samt und Brokat »greifen«. Der Leuchtkraft tat dies keinen Abbruch!

Dem Notturno als Werk (nicht der Interpretation) möchte der Kritiker nun aber doch widersprechen – kann ein Notturno so gewichtig sein? Es wäre ungefähr, als vergliche man Salzburger Nockerln mit Pelmeni (geschenkt – Geschmackssache!). Die Pizzicati des Cellos standen nun für einen kräftigen Herzschlag.
Noch im letzten Satz blieb Borodin bei seiner Üppigkeit. Das Vivace umfaßte sicher drei Vivaldis oder zumindest Beethoven und Mozart zusammen – egal, es gibt bekanntlich vier Temperamente, also auch vier Formen der Lebhaftigkeit. Für wohlige Schauer reichte das allemal.
1. Juli 2024, Wolfram Quellmalz
Im nächsten Konzert der Reihe ist am 15. September (Beginn: 17:00 Uhr) das Dresdner Streichquartett, ebenfalls mit Musikern der Sächsischen Staatskapelle, zu Gast.