Trotz digitaler Irrwege erzählerisch mitreißend

Premiere von Hector Berlioz‘ »Benvenuto Cellini« an der Semperoper

Vor sechs Jahren hatte die Intendanz von Peter Theiler an der Sächsischen Staatsoper mit »Moses und Aron« begonnen – würde sein Abschied vergleichbar stark ausfallen? Im Falle von Arnold Schönberg hatte Theiler den bekannten Regisseur Calixto Bieito nach Dresden geholt, für andere Produktionen gewann er Peter Konwitschny zurück. Er öffnete die Tür aber auch für neue, junge Regisseure, insofern sorgte die in Prag geborene Barbora Horáková mit ihrem Hausdebut am Sonnabend bei »Benvenuto Cellini« für Ausgewogenheit in der Besetzungsriege.

Ausgewogenheit bzw. eine Balance zwischen »Tradition und Innovation« hatte dem scheidenden Intendanten, der nach der Vorstellung von der Sächsischen Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Barbara Klepsch, offiziell verabschiedet wurde, vorab bereits die Rektorin der TU Dresden, Ursula M. Staudinger, attestiert. Das Feuerwerk der Premierenvorstellung brachte die Waage allerdings vor allem im dritten Akt deutlich in eine Interpretationsschieflage. Denn in der Kernfrage, die Peter Theiler immer in den Mittelpunkt stellen möchte (Was will ich erzählen?), verstrickte sich Barbora Horáková zumindest optisch in Fängen, die sie selbst ausgelegt hatte.

Ein genialer Künstler und Held, der sich aber auch selbst vergolden will: Benvenuto Cellini (Anton Rositskiy), Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Die Regisseurin interpretiert Benvenuto Cellini und seinen Widersacher Fieramosca als zwei Künstler unterschiedlicher Typen: Cellini sei jener, der sich moderner Technologien wie KI und Robotik bedient, Fieramosca wäre zwar ebenso modern, stelle jedoch das Objekt und nicht die Technologie in den Vordergrund. Wirklich? Ist nicht vielmehr Fieramosca der zwar begabte, der aber innerhalb der Konventionen, deshalb herrschbar bleibt, weshalb ihn Balducci, der päpstliche Schatzmeister, bevorzugt, während der geniale Cellini gerade das – beherrschbar – nicht ist, sondern zur Unberechenbarkeit neigt?

Die beiden Kontrahenten buhlen aus gleich zwei Gründen um Balduccis Gunst, denn neben künstlerischen Aufträgen geht es ihnen zudem um dessen Tochter Teresa. Die hat sich längst mit Benvenuto Cellini geeinigt: im Trubel des Karnevals wollen beide fliehen – nach Florenz! (Wie töricht! Dort wird der Vater einen Künstler doch zuerst suchen! Eine griechische Insel wäre viel besser, oder wenigstens Worpswede, das kannte im 16. Jahrhundert noch kein Mensch!)

Den Konkurrenzkonflikt arbeitet Barbora Horáková innerhalb des Bühnenbildes von Aida Leonor Guardia (künstlerische Mitarbeit: Arne Walther) deutlich heraus: in Balduccis Haus gibt es ein heimliches Stelldichein der beiden Geliebten, in das sich der Nebenbuhler als Lauscher einmischt. Als der Vater plötzlich heimkehrt, kann Cellini unentdeckt fliehen, Fieramosca wird ertappt. Brisant: Balducci nennt ihn noch in dieser Situation nicht beim Namen, sondern »Schwiegersohn«!

Es ist Karneval! Oder bekommen Giacomo Balducci (Ante Jerkunica) und Teresa (Tuuli Takala) nur die gesellschaftlichen Gegebenheiten vorgeführt? Merke: KI ist gefährlich wie Radioaktivität!, mit den Damen des Sächischen Staatsopernchores Dresden, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Das Belauschen, Belauern, Maskieren und Hintergehen eskaliert schließlich: Fieramosca und sein Getreuer Pompeo verkleiden sich genau so, wie es Cellini und sein Lehrling Ascanio vorhaben, als sie mit Teresa flüchten wollen. Im Handgemenge stirbt Pompeo durch Cellinis Hand.

Der Künstler scheint verloren, kann aber doch noch alles gewinnen, wenn er dem Papst die gewünschte Perseus-Statue endlich (sofort!) gießt. Dann wäre der Mord vergeben, er frei und bekäme Teresa zur Braut …

Wie gut, daß die Geschichte an sich und die Zahl der Akteure trotz aller Turbulenzen überschaubar ist. So können Barbora Horáková und ihr Team aufdrehen – und das machen sie auch, aber richtig! Denn in Sachen Personenführung, Kostümen und Verkleidung (einfallsreich: Eva Butzkies) lassen sie keine Chance aus, die Szene mit Feuer und Farbe auszumalen. Großes Plus: diese Geschichte wird nicht nur von Musik und Bildern erzählt, hier stimmen vor allem die Abläufe bis hin zu einer phantastisch akrobatischen Tänzergruppe (Choreographie: Juanjo Arqués), was den französischen Charakter noch unterstreicht (weil Ballett in Paris seit jeher zur Oper gehört).

So besteht kaum Mühe, Figuren und Geschehen zu folgen. Daß die deutschen Übertitel anfangs eine »Ladehemmung« hatten – geschenkt! Vielmehr entwickelt sich ein Geschehen mit viel Witz, wobei auch mit den Geschlechterrollen gespielt wird, ganz ohne eine nervtötend aufgesetzte Gender-Problematik. Denn Berlioz selbst hat Ascanio tatsächlich mit einem Mezzosopran besetzt (und im Text ist ein Cassandro, keine Cassandra verankert). So eine »Vorlage« läßt sich ausbauen – Ascanio (Štěpánka Pučálková) tritt als Androidin auf und verzückte das Premierenpublikum ähnlich wie Tuuli Takala als Teresa.

Der endgültige Sieg? Benvenuto Cellini gelingt der erwünschte Guß, nun ist er frei (?). Ensemble, Komparserie, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Photo: Sächsische Staatsoper, © Ludwig Olah

Überhaupt faszinierte diese couleur – Berlioz‘ expressive Musik verlangt nach Farbe und Ausdruck, nach Glättung und Schönheit. Dies alles boten Takala und Pučálková fast unbegrenzt – kantable, leuchtende Ausdruckskraft! Auch Anton Rositskiy als Benvenuto Cellini und Ante Jerkunica als Giacomo Balducci verliehen ihren Figuren vibrierende Echtheit, womit Cellini nicht nur vereinfacht als liebender Künstler dargestellt, sondern als Narzisst und Egomane entlarvt wurde. Jérôme Boutillier, stimmlich keineswegs unterlegen, stellte Fieramoscas kalkulierenden Charakter heraus, während Papst Clemens VII (Tilmann Rönnebeck) sonor und kräftig zunächst wohl seinen Willen erfüllt sehen wollte. Moral kann man offenbar an die Situation anpassen … Noch in kleineren Rollen (Jürgen Müller als Wirt, Aaron Pegram als Francesco) bekam die psychologische Auslegung Gewicht.

Das hätte die Waagschalen an sich ausgleichen sollen, doch im Bühnenbild und durch unzählige, mitunter störende, fast quälende Projektionen, ging diese Balance entzwei. Während anfangs noch die Idee der KI untermalt wurde, nahmen Videos und manipulierten Bilder immer mehr zu: der Papst, Putin, und stand da nun »Error« oder »Terror« auf der Rückwand? Dabei war dies doch nur Dekoration und keineswegs zwingend, auch nicht für Barbora Horáková Ansatz! Wurde nun die Verfälschung karikiert oder die Karikatur gefälscht? Hat die Regisseurin selbst in den Spiegel geschaut, den sie uns vorhält? Cellinis Werkstatt gleicht einem Laboratorium, nur was dort passierte, war unüberschaubar. Werden wir also alle Roboter, die sich per Knopfdruck – von einem Kind – abschalten lassen? Dafür gab es am Ende einige »Buhs«. Nicht übermäßig viel, aber kräftig, für Dresdner Verhältnisse also doch viel.

Trotzdem überwog am Sonnabend der Jubel. Und durchaus galt nicht die Gleichung, die Musik sei gut und die Inszenierung schlecht – überhaupt nicht! Wiewohl es an der Musik kein Jota zu meckern gab, so umsichtig lotste Dirigent Giampaolo Bisanti Sänger und Sächsische Staatskapelle durch den Abend. Während aus dem Orchestergraben bis hin zum stampfenden Baß (wenn der Vater überraschend heimkehrt) und unheilgrummelnden Fagotten immer schönere Klänge strömten, die nicht zuletzt einem typische Berlioz-Idiom entsprachen und an die Symphonie fantastique erinnerten, konnten sich Solisten und der von André Kellinghaus bestens vorbereitete Sächsische Staatsopernchor auf eine bestmögliche Unterstützung verlassen. Ungebremste Verve muß eben weder in Unverständlichkeit noch in verschwommene Konturen führen. Berlioz erste Oper ist in dieser Inszenierung durchaus strittig, auf jeden Fall aber ein Erlebnis!

30. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

Sächsische Staatsoper: Hector Berlioz »Benvenuto Cellini«, Musikalische Leitung:  Giampaolo Bisanti, mit Anton Rositskiy, Ante Jerkunica, Tuuli Takala, Štěpánka Pučálková und anderen, wieder morgen sowie am 5. und 10. Juli, Wiederaufnahme im August

https://www.semperoper.de

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