Domorganist Sebastian Freitag verband im Konzert gestern und morgen
Ein paar Termine im Jahr behalten sich die veranstaltenden Hauptorganisten des Dresdner Orgelzyklus für sich selbst statt ihre Gäste vor, und »tauschen« dabei auch einmal ihre Instrumente. So war Kreuzorganist Holger Gehrig am 20. März in der Katholischen Hofkirche (Kathedrale) zu Gast, Domorganist Sebastian Freitag trat am 15. Mai zum Gegenbesuch in der Kreuzkirche an, am Mittwoch spielte er an der Silbermann-Orgel seines Hauptarbeitsplatzes.
Im Programm fanden sich viele Spuren von Vorgängern und Nachfolgern, und die gingen noch über die eigentlichen Werke hinaus. Denn Hansjürgen Scholze, ehemaliger Domorganist und ein Amtsvorgänger von Sebastian Freitag, der am selben Tag die halbe Stunde »Orgel am Mittag« mit Nicolaus Bruhns, Georg Böhm und Jean Françaix gestaltet hatte, stand noch im Finale des Abendkonzertes Pate. Für Edward Elgars March Nr. 1 aus »Pomp and Circumstances« hatte Sebastian Freitag die originalen Aufführungsnoten von Hansjürgen Scholze incl. dessen notierter Registrierung aufgelegt. Das Stück, meinte er, habe sein Vorgänger nicht nur oft gespielt, man müsse es auch an die nachfolgenden Generationen weitergeben. Die nächste Generation war, durch Nachwuchsorganistinnen, die beim Registrieren halfen, im Konzert mit dabei.

Begonnen hatte der Abend mit Johann Ludwig Krebs. Wie den später im Programm folgenden Gustav Adolf Merkel könnte man ihn zu stark »in der Nachfolge von …« sehen. Das überlieferte Zitat »In diesem großen Bach sey nur ein einziger Krebs gefangen worden« (1784, Johann Sebastian Bach selbst soll es ursprpnglich ähnlich formuliert haben) will zwar eigentlich den einen unter Bachs Schülern herausheben, ist aber zweischneidig: Soll ein Schüler dem Lehrer nachfolgen oder sich über diesen hinaus entwickeln? Manch einfallsreicher (gelobter) Virtuose wurde so in die zweite oder dritte Reihe der Komponisten versetzt, man denke etwa an Johann Nepomuk Hummel.
Daß gerade Krebs lohnt, angehört zu werden, zeigte Sebastian Freitag mit dem Präludium und Fuge C-Dur sowie drei Choralbearbeitungen. Während in Präludium und Fuge bei Krebs durchaus ein barockes Nachglitzern auszumachen war (das an der Silbermann-Orgel freilich um so prächtiger funkelte), offenbarte sich spätestens mit den Choralbearbeitungen Krebs‘ Einfallsreichtum. Wurde »Oh Ewigkeit, oh Donnerwort« noch von der schlichten, aber bekräftigenden Choralmelodie getragen, trat diese in der Fantasia sopra »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« erst nach einem vielgliedrigen, freien Spiel in den oberen Registern aus den Mittel- und Baßstimmen heraus. In seiner nach außen strahlenden Vitalität übertraf dies sogar die zweite Fantasia sopra »Freu dich sehr, o meine Seele«, die mehr für eine innere, aber nicht geringere Freude stand.
Mit Alexandre Guilmant wagte sich Sebastian Freitag weit über die Zeit der 1754 fertiggestellte Silbermann-Orgel hinaus (dennoch nicht so weit wie Hansjürgen Scholze mit Jean Françaix am Mittag). Die 6. Sonate h-Moll bewies gerade in den Ecksätzen sinfonische Qualität. Sebastian Freitag wählte schon hier angemessene Tempi, um den Themen einerseits eine in Einzelstimmen ausgefeilte Entwicklung zu erlauben, andererseits aber das Plenum mit seinem zusammenfassenden Charakter polyphon leuchten zu lassen, ohne daß der Klang verwaschen oder verschwommen schien. Die Meditation mit ihrem schwebenden Charakter gewann so einen kontemplativen Ruhepuls, bevor Fugue et Adagio einen ungetrübten, klaren Gipfelpunkt zustrebten. Diese Ausgewogenheit sollte Elgar vielleicht noch stärker auszeichnen.
Zuvor erklangen mit Gustav Adolf Merkels Variationen über ein Thema von Ludwig van Beethoven (aus dessen Klaviersonate Opus 109) eine Übertragung, die nach und nach mehr Eigenständigkeit als Orgelwerk gewann, da die Bedeutung des mit den Registerfarben gestalteten variablen Klangs gegenüber dem ursprünglichen Thema zunahm.
Mit Elgars »Pomp and Circumstances« erfuhr der Abend des heißen Sommertages noch eine festliche Überhöhung. Ursprünglich für eine Krönungsfeierlichkeit geschrieben, verfehlt das Werk bis heute seine Wirkung nicht und erklingt zum Beispiel an jedem Silvestertag »nebenan« in der Kreuzkirche. In der originalen Registrierung gefiel vor allem der kantable Mittelteil, der durch die Vox humana tatsächlich den Eindruck eines menschlichen Chores erweckte. Doch gerade die beiden Steigerungsabschnitte gewannen durch die angemessenen Tempi an Durchhörbarkeit und damit Glanz – schließlich ist die Orgel doch die (ungekrönte) Königin der Instrumente.
1. August 2024, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Mittwoch spielt Christian Barthen (Bern) im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ Werke von Johann Sebastian Bach, César Franck, Marcel Dupré, Daniel Glaus und Franz Liszt in der Kreuzkirche.
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