»Sie sind immer willkommen in meinem Herz«

Saisonauftakt der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit neuem Chefdirigenten

Die Zeichen stehen auf Neuanfang, hier wie da. Während die Dresdner Philharmonie mit dem designierten Chefdirigenten in die neue Spielzeit startete, schlug auch die Sächsische Staatskapelle ein neues Kapitel auf – Daniele Gatti ist allerdings seit 1. August bereits im Amt. Beide Orchester begannen ohne einen Solisten nur mit sinfonischen Werken, beide – wenige Tage vor Anton Bruckners 200. Geburtstag – mit Mahler.

Der »Titan«, Gustav Mahlers 1. Sinfonie, ist nicht nur irgendein musikalischer Meilenstein am Beginn, er eröffnete zugleich den ersten Mahler-Zyklus in der Geschichte der Sächsischen Staatskapelle. Ohne die »Ablenkung« durch einen Geiger oder Pianisten konnte man sich ganz auf den Dirigenten konzentrieren, der so »neu« wieder nicht ist – die schon bisher sehr regelmäßige Zusammenarbeit mit Daniele Gatti begann vor fast 25 Jahren.

Musizieren mit Hingabe: Daniele Gatti und die Sächsische Staatskapelle, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Und sie scheint herzlich. Das »herzlich willkommen«, das Anke Heyn und Friedwart Christian Dittmann vom Orchestervorstand am Ende aussprachen und das Daniele Gatti erwiderte (»Sie sind immer willkommen in meinem Herz«), schien sich an Orchester und Publikum gleichermaßen zu richten. Ein Neubeginn scheinbar ohne Last – man vertraut einander, Daniele Gatti vergaß nicht, einen Dank an Christian Thielemann für dessen Arbeit mit der Kapelle zu richten. Mehr als eine noble, unprätentiöse Geste zeigte dies, daß Gatti sich bewußt ist, nicht bei »null« anfangen zu müssen, sondern ein hervorragendes Orchester vorzufinden.

Arnold Schönbergs Streichsextett »Verklärte Nacht« in der vom Komponisten selbst eingerichteten Fassung für Streichorchester erwies sich in Daniele Gattis Lesart als sinnlich-emotionales Werk (bewies Herz). Der neue Chefdirigent scheut vor dem Aufwallen großer Emotionen nicht zurück, weiß sie zu kanalisieren, so daß üppig glühende oder brausende Passagen ihre Form behalten, keine Emotionen verlorengehen. Gatti ist ein Mann für facettenreiche Konturen.

Dem Heraufdämmern der »Verklärten Nacht« fügte die Staatskapelle erregende, vibrierende Klänge bei, die unter die Haut fuhren, ein harter Pizzicatoschlag beendete dies, aber nur vorläufig. Spätestens jetzt trat die ganz spezielle Faszination dieser Fassung hervor: wo im Sextett einzelne Streicher klagen, singen und raunen, formte nun die ganze Violagruppe eine Stimme. Sechs Stimmen in homogenen Gruppen konnten sich mit einzelnen Soli der Stimmführer noch komplex verschränken. Robert Lis (Violine), Sebastian Herberg (Viola) und Norbert Anger (Violoncello) traten schattenhaft aus dem Verbund heraus oder fanden sich in argumentierenden Duetten, den Verkörperungen bzw. Verstimmlichungen des Mannes und der Frau in Richard Demels Gedicht, das der Komposition zugrunde liegt. Das war nicht nur groß, das war fein!

Ein Dank von vielen: Daniele Gatti und Norbert Anger, Konzertmeister Violoncello, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Insofern überragte Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 Schönberg auch nicht in schierer »Größe« – es gab zwei Hauptwerke. Daniele Gatti hatte bei Mahler wohl weniger monumentale Erhabenheit im Sinn als auch hier die Flächen, Farben und Konturen hervorzuheben. Oder den Text – bedenkt man, wieviel Orchesterlieder und Zitate Mahler allein erkennbar in seinen Sinfonien verarbeitet hat, hier von »Ging heut‘ morgen über‘s Feld« bis zu »Frère Jacques«, und berücksichtigt all die nicht klar entzifferten Textstellen, darf man sich fragen »was will uns Mahler eigentlich sagen?«

Daniele Gatti fand seine Antwort in der Musik, im stetigen (emotionalen) Wandel, der Fanfaren von fern und nah ebenso einschloß wie ein ekstatisches Aufbäumen oder schlichte Besinnung. Manches, wie das Heraufdämmern am Beginn, war von argen Hustern begleitet, so daß man sich fragen mochte, ob es außer Claqueuren jetzt auch Tousseure gibt.

Was aber die zweiten Violinen und Violoncelli nicht hinderte, einen stehenden, tragenden Ton als Fundament zu geben, über dem sich die Bläser räkelten. Die Streicher konnten weich »tropfen«, die Pizzicati waren klarer, trotzdem nicht härter als bei Schönberg, am aufregendsten klangen vielleicht die Celli am Beginn des zweiten Satzes, die eine Rauhheit entwickelten, in der sich Samt und Granit vereinigte. Für Fernklang und weiten Hall sorgten nicht nur die Blechbläser, auch das Holz (vor allem Klarinetten) trug mit Verve bei – immer im Rahmen der Konturen. Im Anschluß gab es vom Orchester sächsischen Wein (mit der Bitte an den Italiener Gatti um eine Rückmeldung) und Blumen der neuen Opernintendanten Nora Schmid.

1. September 2024, Wolfram Quellmalz

Hinterlasse einen Kommentar