Abendkonzert des Heinrich Schütz Musikfestes
Wer wollte, konnte von der Kreuzvesper fast unmittelbar in den Dresdner Stadtteil Trachenberge fahren. Die KulturKirche Weinberg dort, wiewohl sie selbst das ganze Jahr über ein Programm zwischen Jazz, Filmvorführung, Orgel und Clavichord bietet, war erstmalig Gastgeberin für das HSM und selbst für manche Dresdner Musikfreunde – etwas im Nordwesten gelegen und nicht so fest in den Musikkreis eingeschlossen – ein neuer Aufführungsort. Sopranistin Arianna Savall vom Ensemble Hirundo Maris freute sich: für sie wie für das begleitende Armonico Tributo Consort war es zugleich der erste Besuch überhaupt in der Stadt.

In solistisch meist schlanken Liedern stand die Musik Heinrich Schütz‘ hier Zeitgenossen gegenüber, wobei er mit Samuel Scheidt und Alessandro Grandi zu Beginn gleich drei Jahrgänge (1585 bis 1587 geboren) vereinte. Die Komponente des »Kreativen« aus dem HSM-Motto wurde in »Wo ist nur Dein Gott« (Konzerttitel) noch um eine Ergriffenheit ergänzt, die nicht allein auf Berührtsein ruhte, sondern in vielen Fällen einer ungezähmten, aber gezielten Dramaturgie folgte. Dabei überließ Arianna Savall, wohl die prominenteste Künstlerin des Abends, ihrem Tenor-Partner Petter Udland Johansen gern die spektakulärsten Nummern, denn anders konnte man zum Beispiel Dieterich Buxtehudes Quemadmodum desiderat cervus (BuxWV 92) kaum nennen! Wie übrigens noch mehrfach stand die Ciaccona für ein überragendes Stilmittel, daß die Eingängigkeit und die Verinnerlichung einerseits durch stetige Wiederholungen »bedient«, sie aber auch durch ebenso beständige Steigerungen in der Dramaturgie, im Ausdruck, in der instrumentalen Besetzung oder schlicht der Emphase belebt.

Eigentlich mußte man schon viel kennen (oder das HSM oft besucht haben), um überrascht zu sein, welche musikalische Vielfalt und emotionale Spannweite sich mit zwei Stimmen und fünf Instrumentalisten darstellen läßt! Solcher Reichtum glänzt stets besonders, wenn er von individuellen Akteuren bzw. (in diesem Fall) Stimmen geprägt wird. Nicht zuletzt hatten die beiden dicht verwobenen Ensembles die Folge der Titel klug gewählt, kleine Blöcke gebunden und an zwei Stellen noch einmal nachgeschärft: eine Suite von Samuel Scheidt und »Mein Freund ist mein und ich bin sein« von Johann Christoph Bach (einem Vetter Johann Sebastians) waren erst nach Drucklegung des Programmes in die Titelfolge gerutscht. Das letztere Lied, noch eines im Chiaccona-Stil, war aus Anlaß einer Hochzeit entstanden und stellte die innere Verbundenheit (hier aus Sicht der Braut) sinnlich dar. Arianna Savall fand darin ein Gegenüber in der Violine von Brigitte Täubl, die einmal als rankende Singstimme hervortreten durfte, um stellvertretend zumindest eine der wunderbaren Instrumentalisten zu nennen.

Arianna Savalls Sopran gehört längst zu den besonders typischen und leicht erkennbaren. Gerade ihr Ausdruck ist betörend, auch wenn eine klare Verständlichkeit nicht immer gegeben ist. Das änderte nichts am Berührtsein, fiel aber im Vergleich mit der bestechenden Artikulation Petter Udland Johansen auf. Um so schöner, daß der Tenor dabei nicht ins Deklamieren fiel, sondern seine Vorteile für schlichten Vortrag ebenso zu nutzen wußte wie für eine fast opernhafte Gestaltung. Philipp Heinrich Erlebachs »Dulde dich« war ein weiteres Beispiel dafür.

Insgesamt überwogen die stilleren, innigeren Titel, wie Heinrich Schütz‘ »Anima mea liquefacta est« (Ach, meine Seele schmilzt in Wonne hin, SWV 263) mit seinem (musikalisch) offenen Ende. Mit dem Choral »Von Gott will ich nicht lassen«, der gleichzeitig beim Konzerttitel verweilte, verabschiedeten sich Arianna Savall und Petter Udland Johansen in der KulturKirche.
6. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz