In Klang gefaßte Worte

Heinrich Schütz Musikfest in der Loschwitzer Kirche

Für einen Ruhepunkt im Programm des Heinrich Schütz Musikfestes (HSM) hatten Ælbgut sorgen wollen. Doch ließ der Titel »Letzte Worte« am Mittwoch in der Loschwitzer Kirche mehr als nur Trauergesänge erwarten. Und so waren viele letzte Worte darunter, wie man sie sich oder jemandem zum (endgültigen) Abschied wünscht, aber auch Worte der Stärke und des Bekenntnisses bis hin zum Vaterunser.

Am Tag zuvor hatte Martin Schicketanz noch Einblick gegeben, wie verborgene Schätze in der Musik gehoben werden, nun brachte der Bassist sie gemeinsam mit Isabel Schicketanz (Sopran), Jaro Kirchgessner (Altus) und Christian Volkmann (Tenor) zum Klingen, ja zum Leuchten!

Und weil sich nicht nur die Programme ändern, hatten sie diesmal ein anderes Ensemble an ihrer Seite: tiefsaits trugbereits eine besondere Variabilität in sich, denn die Spielerinnen wechselten teilweise ihre Instrumente. Mirjam-Luise Münzel mischte sich auf Blockflöten als Singstimme ins Ensemble, schloß aber mit den Streichern auch den Consort-Raum. Selbst spielte sie außerdem Viola da gamba und Barockcello. Anna Reisener wechselte zwischen Viola da gamba und Barockcello, Alma Stolte spielte die Viola da gamba – natürlich in verschiedenen Größen bzw. Stimmlagen. Unterstützt wurden die drei von Xaver Schult (Orgel).

Ælbgut in der Besetzung Isabell Schicketanz, Jaro Kirchgessner, Christian Volkmann und Martin Schicketanz, an der Orgel: Xaver Schult, Photo: HSM, © Robert Jetzsch

Sein Wechsel bezog noch einen Platztausch zwischen der großen (Choralbearbeitungen von Johann Sebastian Bach) und der Continuoorgel ein. »Da Jesus an dem Kreuze stund« (BWV 621) war eine gediegene Einleitung, deren Ton für Leonhard Lechners »Jesus aber betet und sprach« Ælbgut und tiefsaits aufnahmen, um die »Letzten Worte« mit einer Erzählung zur Passionsgeschichte zu beginnen. Hat sich Lechner noch, wenn auch selten, immerhin in den Programmen der Alten Musik verankert, gehören Kompositionen von Augustin Pfleger zu den absoluten Raritäten und Entdeckungen. Sopran und Baß standen sich hier als betörendes Duo gegenüber, dem die wirklich tiefsten, klangvollsten Saiten zur Seite standen.

Neue Musik gehört beim HSM eigentlich immer dazu, das hat nicht nur die Uraufführung am Wochenende gezeigt, es ist mittlerweile eine Grunderfahrung. Die Komponistin Reena Esmail stand nicht nur als Verbindungsglied zwischen traditioneller und klassischer Musik, sondern verknüpfte innerhalb der westlichen noch verschiedene Traditionen. Drei Stücke für Violoncello solo, »Varsha« (Regen), Elegism (Elegismus) und »Sandhiprakash« erklangen aus verschiedenen Winkeln (von, seitlich, hinten), alle einer singenden Melodie folgend, die sich nicht nur Kulturen, sondern auch Religionen, wie dem jüdisch-sephardischen, anzunähern schienen.

Die tiefen Saiten und letzten Worte fanden viele unbekannte, selten gehörte Fassungen bekannter Texte. »Unser Leben währet siebenzig Jahr« aus den Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz (dort: SWV 279) ist in den letzten Jahren immer wieder erklungen. Nun gab es Johann Michael Bachs Auslegung dazu, bei dem sich die Verse kreuzten. Die gleichzeitig ablaufenden Zeilen mit dem schwebenden Sopran (»Unser Herr, laß deine liebe Engelein …«) hinterließen einen überwältigenden Eindruck. Ihnen zu folgen war ob der hervorragenden Verständlichkeit keine Mühe.

»Letzte Worte« in der Loschwitzer Kirche, Photo: HSM, © Robert Jetzsch

Mit Claudio Monteverdi (»O ciechi, ciechi« / »Ihr Blinden, was nutzt euch …«, »Ah, dolente partita!« / » Ah, schmerzvolles Fortgehen« und »Lamento della ninfa« / »›Amor‹ sprach sie …« ) zeigte sich Ælbgut von einer fast schon opernhaften Seite und kehrte leidenschaftliche Gestaltungselemente – auch bei dieser Art von Texten – heraus. Für Altus Jaro Kirchgessner die Gelegenheit, sich einmal theatralisch aus dem Quartettverbund zu erheben.

Doch aufregende Oper war es letztlich nicht, sondern innerlich zutiefst berührend. Und verblüffend. Oder wer hatte zuvor Christian Geists »Vaterunser« einmal im Konzert oder in einer Andacht gehört? Vom Sopran eindringlich vorgetragen, prägte sich der emphatisch gedehnte Text besonders ein, mit den Schlußzeilen (»Denn Dein ist das Reich …«) wurde er noch zusätzlich belebt. Oder Ernst Wilhelm Wolfs Kantate »Es ist genug, nimm meine Seele« – verhältnismäßig knapp, aber beschwingt kündete sie von einem frohen Abschied.

Johann Schop (»Verleih uns Frieden gnädiglich«) und Heinrich Schütz (»Wir gläuben all an einen Gott«, SWV 303) dienten dem Abend als Geleit.

10. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Mehr Trouvaillen mit Ælbgut gibt es auf »Parnass-Blumen«, Lieder von Johann Sebastiani nach Texten von Gertraud Möller, erschienen bei Coviello

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