Formenspiele

Dresdner Philharmonie mit Sibelius, Adès und Dvořák

Im Sinfoniekonzert der Dresdner Philharmonie am letzten Wochenende im Dresdner Kulturpalast gab es nicht nur eine schöne Wiederbegegnung mit der Violinistin Leila Josefowicz, sondern auch mit einem Werk des ehemaligen Composer in Residence Thomas Adès. Sein Violinkonzert »Concentric paths« war allerdings für die Philharmonie genauso neu wie Jean Sibelius‘ Sinfonische Phantasie »Pohjolas Tochter«, mit der Dirigentin Dalia Stasevska das Konzert begann. Neben ihr gab es noch weitere wichtige Gäste an entscheidenden Positionen: außer dem Konzertmeister (Zsolt-Tihamér Visontay) waren die Stimmführer der zweiten Violinen und Violoncelli »fremd« besetzt.

Sibelius‘ Klangsprache ist, selbst wenn sie temperamentvoll und volkstümlich wird, eindeutig nordisch und offenbart Momente der Ruhe. Annette Jakovcic ließ ihr Violoncello mit schönem Legato singen, die Bläser spendierten dazu den Hintergrund (Assoziation: Wald), bevor das Orchester »erwachte« (einsetzte) und zwar nicht die Episoden des ursprünglichen Textes exakt nachstellte (Sibelius hat eine solch bildhafte Darstellung nicht angestrebt), aber die Dramaturgie der Geschichte um das Paar der Pohjola-Legende (Jungfrau und Vainämöinen) mit einem dramatischen Höhepunkt emotional aufleben ließ.

Thomas Adès Violinkonzert stellt in drei Sätzen »Concentric Paths« (Konzentrische Pfade) dar, zerlegt diese aber, statt sie von vornherein als Kreise zu bestimmen, in »Rings« (Ringe), »Paths« (Pfade) und »Rounds« (Runden). Aus diesen Satzbezeichnungen gewinnt er nicht simple Figuren oder Symbolik, sondern formt musikgewordene Bewegungen nach.

Leila Josefowicz‘ Violine mußte dafür in meist hohen und höchsten Höhen singen, vibrieren, flehen oder schluchzen. Interessant wurde das Werk nicht zuletzt, weil Adès Klang voraus- und ins Verhältnis setzt. Gerade beim Orchester fiel diese Klanggestaltung immer wieder auf, denn es stand der Solistin weder untätig noch als Sparringspartner gegenüber, sondern sorgte für eine Welt bzw. einen Raum, in dem sich die Solostimme entfalten mußte und durfte. Bildeten erst absteigende Holzbläser das Gegenüber, sorgte ein Tutti-Schlag bald für eine Richtungsänderung (und unterstrich den Eindruck einer zielgerichteten Bewegung). Die Kontrabässe stellten dem einen Schatten entgegen, bald aber sorgten Wippfiguren für erneute Bewegung und Richtung.

Wassily Kandinsky »Several Circles« (mehrere Kreise, Ölfarbe auf Leinwand, 1926. 140 x 140 cm), Solomon R. Guggenheim Museum, New York City, Bildquelle: Wikimedia commons

Der zweite Satz, dem Namen nach geradliniger, wurde von ebensolchen Impulsen getragen: Töne, die Anstoß gaben, Auslöser waren, lineare Richtungen enthielten. Die Musik strebte schon jetzt einem Zentrum zu, also einer Annäherung, wie zwischen der Solovioline und der Violingruppe. Mit dem letzten Satz, der seinen ursprünglichen Impuls wohl beim Rondeau hatte, gewann das Reihum ebenso an Bedeutung wie die Melodiösität. Das von den Bläsern zitierte Motiv nahm die Solovioline auf, näherte sich dem Zielpunkt, den sie zusammen mit dem Orchester (neuer Tuttischlag) auf den Punkt erreichte.

Das mag kantig, anspruchsvoll gewesen sein, doch die Leistung der Klanggestaltung durch Solistin und Orchester bzw. Dirigentin war in jedem Fall beeindruckend und eine spannende »Brücke« zum dritten Werk.

Dalia Stasevska hatte die Werke mit teils großer und energischer Geste geleitet und ihre Fähigkeit zur Bestimmtheit unterstrichen. Natürlich braucht es aber, damit Musik lebendig wird, außerdem die Fähigkeit zur Entspanntheit. Diese bewies die Dirigentin in Antonín Dvořák achter Sinfonie durchaus, vor allem in ihren variablen Tempi, die es zuließen, einmal zu bremsen, gemächlicher zu werden und für Entspannung zu sorgen, ohne daß der »Faden« riß, etwa im ersten Satz, der mit Zsolt-Tihamér Visontay nicht nur schwungvolle, sondern ebenso leichte Elemente enthielt. Hinsichtlich der Dynamik bewahrte Dalia Stasevska die Soli davor, sich mit Kraft durchsetzen zu müssen – schon der Flöte zu Beginn (Kathrin Bäz) bewahrte sie den Gestus idyllischer Zartheit. Die Holzbläsergruppe konnte sich so bis zum Englischhorn (Jens Prasse), auch doppelt besetzt und im Quartett, kantabel einbringen, während die Blechbläser einen großen Klang formten. Im Tutti freilich balancierte Dalia Stasevska an der oberen Grenze. Beherzt war es auf jeden Fall!

14. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

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